Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

"Was ist das denn für ein Spinner", sage ich zu meiner Freundin. "Der hat ja noch eine Weihnachtsmütze auf. Und wie der daherkommt. Der hat ja nicht mehr alle Latten am Zaun."
Ja, so was sehe ich auf den ersten Blick. Da brauche ich nicht lange zu überlegen. Ich habe ein untrügliches Gespür für Menschen. Und finde auch immer ein schnelles Urteil.
Meine Freundin stößt mir den Ellenbogen in die Rippen. "Psst", sagt sie, "nicht so laut. Ich kenne den Armin, der ist kein Spinner. Das ist ein ganz armer Kerl. Der hat vor zwei Jahren einen Autounfall gehabt. Seitdem ist er ein bisschen schräg. Aber dass der überhaupt wieder selbständig leben kann, das hätten wir alle nie gedacht. Der hat sich richtig ins Leben zurückgekämpft. Ich bewundere den."
"Ach, so ist das", denke ich. "Dann ist er natürlich kein Spinner."
Kennen Sie das auch? Man sieht jemanden. Der sieht nicht ganz so aus, wie man das erwartet und schon hat man eine Meinung. Ganz schnell bildet man sich sein Urteil, bewertet eine Situation und liegt manchmal voll direkt daneben.
Gut, dass Gott das nicht so macht. Gott sagt: „Ein Mensch sieht, was in die Augen fällt; ich aber sehe ins Herz.“ (1.Sam 16,7). Gott lässt sich also nicht vom ersten Eindruck täuschen. Er bleibt nicht beim Äußeren eines Menschen hängen. Er geht tiefer. Sieht den ganzen Menschen an. Ganz genau.
Gott kennt den Armin besser als ich, besser als meine Freundin. Gott hilft ihm wieder auf. Nach seinem Autounfall hat er ihn wieder in die Spur gebracht. Und selbst wenn Armin vielleicht ein bisschen schräg daher kommt, bei Gott ist er genauso gern gesehen wie die Aufrechten und Senkrechten. Denn Gott sieht in sein Herz und weiß: Was außen schäbig und schräg erscheint, kann innen glänzen und strahlen. Gut, dass Gott kein schnelles Urteil fällt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16662
weiterlesen...