SWR3 Gedanken

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Gleich brennt die vierte Kerze am Adventskranz. Meine Tochter hält konzentriert und vorsichtig die Streichholzflamme an den Docht. Und sie schaut dabei konzentriert auf die Kerze bis sie wirklich brennt. Schön sieht sie aus, wie sie da steht. So ganz eins mit ihrer Aufgabe. Als ob sie selbst leuchten würde.
Ein chinesisches Sprichwort sagt: “Wer nur sich selbst anschaut, leuchtet nicht“. Wahrscheinlich ist Kerzenanzünden eine gute Übung zum Selberleuchten: da geht es nicht um mich, sondern nur darum, dass ich die Kerze zum Leuchten bringen. Wenn sich die kleine Flamme am Streichholz entzündet hat, muss ich sie rüber zum Docht bringen. Und das so, dass der Docht auch wirklich Feuer fängt und ich mir dabei nicht die Finger verbrenne.
Wahrscheinlich ist das das Geheimnis vom Menschen, die leuchten, Menschen, die Ausstrahlung haben, die andere mitreißen können. Sie konzentrieren sich ganz auf das, was es gerade braucht, oder was die und der andere gerade braucht. Und sie bleiben so lange dran, bis es ‚gezündet‘ hat, bis die anderen oder das Projekt ihrer Wahl auch ohne ihre Hilfe klar kommt.
Eine ehemalige Nachbarin von mir hat das auch so gemacht. Sie hat eine ältere Frau ein paar Häuser weiter regelmässig zum Tee getroffen. Als daraus immer häufiger ein Hilfsbesuch wurde hat sie ganz locker gesagt: nee, so geht das nicht. Ich will mich doch mit Ihnen unterhalten und nicht Ihre Hauswirtschafterin sein. Dann hat sie die Nachbarschaftshilfe angerufen und in Absprache mit jener Frau die nötigen Hilfsdienste organisiert. seither genießen die beiden wieder ihre gemeinsame Teestunde. Und sie hat sich bildlich gesprochen nicht die Finger verbrannt.
Wer nur sich selbst anschaut, leuchtet nicht – ich dreh das Sprichwort lieber um: wer sich für andere interessiert, beginnt zu leuchten. Nicht nur im Advent.

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