SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Wie man mit dem Herzen betet, zeigt das beeindruckende Beispiel eines einfachen Clochards in Paris – abgedruckt in einer Pariser Lokalzeitung. 

Paul verbrachte die meiste Zeit im Freien. Er hatte eine große Vorliebe für die Kirche St. Jakob in Paris, an deren Einganstor er um Almosen bettelte. Die Weinflasche war ihm eine treue Begleiterin – die Leberzirrhose und andere Krankheiten fraßen an ihm. Seine Gesichtsfarbe ließ nichts Gutes ahnen. Die Leute dieses Wohnviertels warteten nur noch darauf, dass er von heute auf morgen nicht mehr da wäre, ohne sich jedoch besonders für ihn zu interessieren. 

Doch da war eine gute Seele in der Gemeinde, Madeleine. Sie war sehr traurig darüber, ihn so schrecklich allein zu sehen und sprach daher öfter mit ihm. Sie hatte auch bemerkt, dass Paul am Morgen seinen Stammplatz am Eingangsportal eine Zeitlang verließ und in die Kirche ging. Dort setzte er sich auf einen Stuhl in der ersten Reihe, direkt vor dem großen Kruzifix. Einfach so – scheinbar, ohne etwas zu tun. Eines Tages fragte ihn Madeleine: „Ich habe gesehen, dass du oft in die Kirche gehst. Was machst du denn, wenn du eine Stunde dort sitzt? - Betest du?“

„Wie soll ich denn beten können! Seit der Zeit, als ich noch klein war und in den Religionsunterricht ging, habe ich alle Gebete vergessen. - Was ich da mache?  Das ist ganz einfach: Ich gehe zum großen Kruzifix, dort wo Jesus ganz allein ist, und sage zu ihm: „Jesus, ich bin’s, Paul! Ich komme dich besuchen!“ Und dann bleibe ich noch ein bisschen, damit halt jemand da ist.“ – Madeleine bringt keinen Ton heraus. 

Eines Tages ist Paul vom Eingangstor verschwunden. War er krank? Vielleicht gestorben? Sie erkundigt sich und findet seine Spur im Krankenhaus wieder. Sie geht ihn besuchen. Dem armen Paul geht es sehr schlecht, er hängt an vielen Schläuchen. Am nächsten Tag kommt Madeleine wieder und ist schon darauf gefasst, die traurige Nachricht zu bekommen.

Aber nein! Paul sitzt ganz aufrecht in seinem Bett, ist frisch rasiert, hat einen lebendigen Blick und sieht völlig verwandelt aus. Ein Ausdruck unbeschreiblichen Glücks strahlt aus seinem leuchtenden Gesicht! – Madeleine reibt sich die Augen. Doch, er ist es wirklich. „Paul, das ist unglaublich, du bist ja auferstanden! Du bist nicht mehr derselbe, was ist nur mit dir passiert?“

„Na ja, es war heute Morgen, da ging es mir gar nicht gut – dann habe ich plötzlich jemand hier am Fußende meines Bettes stehen sehen. Er war schön, unbeschreiblich schön! Das kannst du dir gar nicht vorstellen! Er lächelte mich an und sagte: „Paul, ich bin’s, Jesus! Ich komme dich besuchen!“

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