SWR2 Wort zum Tag

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Die Chagallfenster in der St. Stephanskirche in Mainz ziehen mich immer wieder an. Es ist in diesen Adventstagen der träumende Jakob, der mich zum Verweilen eingeladen hat. Chagall hat die biblische Geschichte variiert. Kein Stein, keine Himmelsleiter ist zu sehen. Alle Attribute des Traums, von denen im Alten Testament, der Hebräischen Bibel, erzählt wird, fehlen, auch wenn sie in Jakobs Traumwelt existieren. Einsamkeit, die dunkle Nacht sind dagegen überdeutlich.
Wie kam es zu diesem Traum? Jakob ist auf der Flucht vor seinem Bruder Esau, den er um den Segen des Erstgeborenen gebracht hat. Jakob ist in der Fremde. Heimatlos. Sein altes Leben ist zerbrochen, und er weiß nicht, wie es weiter geht. Erschöpft legt er sich am Abend nieder und träumt. Im Traum sieht er ein großes Bild.
Chagall geht es um Hintergründiges, Nachdenkliches, so dass der Raum zum Interpretieren offen bleibt. Ein Mensch träumt und begegnet damit seinen unbewussten Tiefen. Er erlebt dabei Dinge, deren Zusammenhang er oft nicht versteht. So auch Jakob.
Chagall zeigt in dunklen Tönen, dass sich Jakob schuldig fühlt, dass er Angst vor einem Lebensübergang hat. Auch wenn es Chagall nicht darstellt, so ist doch das große Bild der alttestamentlichen Erzählung gegenwärtig: die Himmelsleiter, die von der  Erde bis in den Himmel hineinragt, die Boten Gottes, die auf ihr auf und ab steigen. Die Himmelsleiter – ein Symbol für die Sehnsucht des Menschen, Gott nahe zu sein. Chagall zeigt die Verlassenheit Jakobs, macht in der Farbe Blau deutlich, dass er nicht allein ist, dass ihm Gott nahe ist, ihn behütet, wohin er auch geht.
Ich stelle mir vor: Jakob erfährt im Traum Gottes Wort Ich bin bei dir wie eine Brücke zwischen Himmel und Erde, so dass er erkennt: An diesem Ort ist Gott gegenwärtig. Gott ist für ihn nicht fern, er begleitet auch in Ausweglosigkeit und Dunkelheit.
Auch ich erfahre: Gott ist nicht fern. Auch ich erfahre: Ich bin bei dir. Wie ein Schutz will Gott begleiten, behüten und bewahren. Damals Jakob, heute auch uns.
Von Gott im Himmel reden heißt dann: Kein menschlicher Vergleich reicht aus, um Gott zu begreifen, zu verstehen. Aber ich kann erfahren, dass von dieser Beziehung eine Hoffnung ausgeht, mit der und aus der ich leben kann.

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