SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Der Advent singt in sinnlichen Liedern von der Ankunft des Gotteskindes.
Oh Heiland reiß die Himmel auf - ich denke sehr in Bildern und dieses Adventslied ist voller Bilder, die ich mir immer gut vorstellen konnte. Als Kind habe ich mir vorgestellt, dass der Heiland mit einem Reißverschluss den Himmel aufreißt. Irritiert hat mich bei diesem schönen Adventslied allerdings der Satz: O Gott ein Tau vom Himmel gieß, im Tau herab o Heiland fließ. Tau, der steht morgens tropfig auf Grashalmen, ich habe ihn aber - im Gegensatz zu Regen - noch nie vom Himmel fließen sehen. Bis mich mal jemand darüber aufgeklärt hat, dass mit Tau in diesem Fall der Same Gottes gemeint ist. In der Tat: Samen ergießt sich, und im Fall des Adventslieds leuchtet es dann natürlich ein, dass in diesem Tau der Heiland vom Himmel herab fließen kann. Offenbar dachte auch der Dichter des Adventslieds sehr bildhaft, mit einer Freude an der Leiblichkeit, die mich berührt. Kein Wunder, dass sich diese alten Adventslieder so einprägen. Das sind keine abstrakten theologischen Vorlesungen, das ist keine dogmatische Wissensvermittlung. Wovon die Adventslieder singen und erzählen, das ist mir vertraut, das ist mein Körper, das sind meine Sinne, mein Fleisch und Blut. Und das ist meine Welt, in der ich lebe, die Erde, die Blumen hervorbringt, mit Berg und Tal, mit Sonne und Sternen. Da reißt der Himmel auf, wie ich es auch kenne, wenn an einem düsteren Tag plötzlich die Wolken aufreißen und die Sonne sich strahlend in die Welt ergießt. Wie schön, dass Gott Mensch geworden ist mitten in unserer wunderschönen, zugleich so gefährdeten und zerrissenen Welt und wir in unserer menschlichen Leiblichkeit und in der Schöpfung Bilder für Gottes Gnade und Liebe finden dürfen.
In dieser Adventszeit möchte ich mich mit Leib und Seele, mit meinem ganzen Sein auf Gott freuen, mit jedem Atemzug, mit jeder Umarmung, aber auch in den Schwächen meines Körpers, mit meinen Narben und Falten. Ich möchte an Gott denken, wenn ein Sonnenstrahl den Winterhimmel erhellt und wenn Sterne abends am Himmel strahlen. Wenn Gott leibhaftig Mensch wird, dann ist unser Körper sein kostbares Geschenk, das uns, sowohl als Geschenk als auch als Bürde, hinweist auf ihn. Denn auch dem Krippenkind blieben, erwachsen geworden, körperliche Schmerzen nicht erspart. Gerade das unterscheidet ihn ja von den Göttern der Antike, die nur scheinbar Menschen waren, nie jedoch wirklich Menschenleben teilten.
Mit Leib und Seele Advent feiern, mit der Last und der Freude, die mein Leib für mich bedeutet - ich wünsche mir, dass dann der Himmel aufreißt. Für mich. Für uns alle.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16549
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