SWR2 Wort zum Tag

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Advent ist die Zeit der Verheißung. Was uns von Gott her erwartet, reicht unendlich viel weiter als unsere Vorstellungskraft. Ist die Kirche offen für diese Grenzen sprengende Kraft ihrer eigenen Botschaft? Ist sie offen für das Neue, Überraschende, Unerwartete, das Zukunft immer auch bedeutet?

In einer repräsentativen Umfrage hat die Diözese Rottenburg-Stuttgart vor kurzem ihre Mitglieder danach gefragt, ob die katholische Kirche ihrer Meinung nach gut auf die Zukunft vorbereitet sei. Etwa 80 Prozent der württembergischen Katholiken sind dieser Ansicht nicht. Die Kirche sei viel zu rückwärtsgerichtet, statt zukunftsoffen zu sein – das ist Kern ihrer Kritik. In diesen Spiegel zu blicken ist bitter, wenn mir meine Kirche etwas bedeutet.

Das allererste Wort, das uns vom öffentlichen Auftreten Jesu von Nazareth überliefert ist, ist eine Einladung. Sie lautet: „Das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium.“ (Mk 1,15) Das griechische Wort metanoeite heißt im Deutschen eigentlich gar nicht „kehrt um“ oder gar „tut Buße“, wie es früher übersetzt wurde. Es heißt vielmehr: „denkt um“, „ändert euch in eurem Denken“. Jesus fordert nicht zum Rückzug auf, sondern lädt zum Aufbrechen ein. „Umkehr zur Zukunft“, so könnte man sagen. Und er bestätigt uns auch nicht darin, festzuhalten, auf Positionen und Machtansprüchen zu beharren; vielmehr ermutigt er zum freien, aufrechten Gang. Denn das Reich Gottes, von dessen Nähe da die Rede ist, ist ein Bild für Freiheit, für Lebensfülle. Es ist ein Bild für die Liebe und Menschennähe Gottes, die unsere Vorstellungen übersteigt. Es ist ein Bild großer Freude und nicht verzagter Angst.

Das adventlichste Ereignis in der Kirche war in diesem Jahr die Papstwahl Jorge Mario Bergoglios, der sich jetzt Franziskus nennt. Er hat seiner Kirche wieder den freien Blick nach vorne geöffnet. Er spricht und handelt in einer Weise, die völlig überraschend ist, obwohl sie doch eigentlich so selbstverständlich menschlich und christlich ist. Man sagt, er sei eigentlich ein konservativer Theologe; vielleicht muss er viel Mut aufbringen, seine inneren Hürden zu überspringen. Und noch mehr Mut braucht er sicher, um die äußeren Widerstände zu überwinden. Denn natürlich sind nicht wenige erschrocken über das, was er sagt und tut. Aber für mich und wohl auch für viele andere – Christen und Nichtchristen – leuchtet in Papst Franziskus wieder eine ansteckende Freude am Glauben auf. Warum? Weil er den Menschen nahe ist, weil er Vertrauen und eine große innere Freiheit ausstrahlt. Der Papst aus Argentinien will Gott nicht in der angstvoll konservierten Vergangenheit suchen und finden, sondern er erwartet, dass Gott auf uns zukommt im stets offenen und überraschenden Morgen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16531
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