Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Ganz langsam kam sie auf mich zu. Im Jogging-Anzug mit Einkaufstasche, die Haare wirr um den Kopf – eine alte Frau. Ich war auf dem Weg zu einem Termin. War in Eile, wollte pünktlich sein. Meine Gedanken kreisten schon um die Aufgaben , die auf mich warteten. „Entschuldigen Sie bitte“, sagte die Frau ganz munter, „können Sie mir helfen?“ Verdutzt schaute ich auf. Ein wenig ungeduldig – mein Termin... Treuherzig sagte die alte Frau: „Ich suche meine Mutter.“ Ich stutzte: Ihre Mutter? Sie wisse nicht mehr genau, wo die Mutter wohne, sagte die Frau, hier vielleicht, oder in der Straße dort unten? „Wissen sie es? Sie wissen es bestimmt.“ Ich muss wohl ziemlich verblüfft ausgesehen haben. Fröhlich erzählte sie weiter. Zwischendurch fielen ihr manchmal die Worte nicht mehr ein. Mehrmals fragte sie: „Wie heißt denn das Wort, das ich jetzt nicht finde?“ Und weil ich es auch nicht wusste, lachte sie.
Schließlich wollte sie nach Hause gehen. Sie wohne dort in der Straße, meinte sie, und schloss sich mir an. „Warten sie. Ich möchte mit ihnen gehen. Aber bitte machen sie nicht so große Schritte. Das ist zu anstrengend für mich.“ Und dann erzählte sie mir von ihren Knien, die nicht mehr so recht wollen. Die manchmal schlimm weh tun. „Aber nachts“, sagte sie, „wenn ich im Bett liege, dann tut mir nichts mehr weh. Das ist schön!“ Und sie strahlte wie ein Kind.
Und dann hat sie weiter von sich erzählt, und sich gefreut, dass ihr jemand zuhört. Mich hat das sehr gerührt. Ich habe ihr gerne zugehört. Wie treuherzig sie war, und wie fröhlich und wie zufrieden. Langsam ging ich neben ihr her. Hoffentlich nutzt nie jemand diesen alten Menschen aus. Und hoffentlich ist sie gut betreut - da, wo sie wohnt. Ich wünsche ihr, dass sie so fröhlich bleiben kann, trotz der erkennbaren Verwirrung.
Und so haben wir uns freundlich voneinander verabschiedet.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1645
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