SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Wegsein wollen – unbeobachtet und unerreichbar für Andere.
Ganz Für-sich-sein. Weg von allen Anfragen und allen Ansprüchen.
Das ist eine tiefe Sehnsucht. Ein Mensch hat sich das im Gebet so ausgemalt, im Psalm 139: Auf den Flügeln der Morgenröte auf und davon.
Bis ans äußerste Meer. Bis ans Ende der Welt.
Und dann: Da bleiben.
Der so betet, will auch von Gott weg. Seine Nähe bedrückt ihn.
Er denkt: „Gott sieht mich, Gott kennt mich, er versteht alle meine Gedanken von ferne.“ Und genau das ist ihm eine lästige Vorstellung von Gott.
Nur zu verständlich: Denn wenn ich ständig unter Beobachtung stehe,
überwacht und ausspioniert werde, beengt mich das, bedrückt mich das, verliere ich meine Unbefangenheit, beschleicht mich Angst. Ein Mann, der früher einmal von der Stasi ausgespäht wurde, hat mir gesagt, wie sehr er sich an dieser Vorstellung von Gott reibt. Einen Gott, dem nichts verborgen ist, so einen Gott möchte er loswerden, abschütteln.
Doch irgendwie geht das gar nicht.
Schon dem Betenden ist das eine unmögliche Möglichkeit.
Resigniert stellt er fest: Und „nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer - so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“
Doch dann schlägt sein Empfinden um. Plötzlich und überraschend:
Was ihm unfassbar und belastend erschien - Gott ist überall, er durchschaut mich - , das wird ihm mit einem Mal zum Trost, zur Zusage von Treue.
Er entdeckt: Es kommt ja sehr darauf an, wer zuschaut, wer hinhört,
wer meine Gedanken erforscht - und mit welcher Absicht.
Wer bei mir ist und bleibt – bis ans Ende der Welt, bis ans Ende der Zeit.
Ich entdecke daran: Wie sehr kann sich eine Vorstellung von Gott – mit einem Mal – in einem Gebet –  verwandeln. Ausgelöst durch eine einzige Erinnerung:
Mensch, der hat mir mein Leben geschenkt hat, der bleibt bei mir.
der ist da, wo immer ich bin, der nimmt mich immer wieder an.
Vor dem Gott muss ich gar nicht weglaufen, vor dem muss ich mich nicht verstecken.
Mich ermutigt das, immer wieder neu hin zu spüren:
Wie aus einem dunklen Überwacher, ein Gott wird, der mich tragen will.
wie aus bedrückender Nähe - liebevolle Zuwendung wird.
Gott sei Dank weiß nur Gott meine Gedanken.
Gott sei Dank kennt der mich besser als alle Anderen.

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