Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Armes kleines Blättlein, hast ja gar kein Bettlein, musst durch düstre Gassen vom Wind dich treiben lassen.“ Mein Vater hat uns dieses Lied oft vorgesungen als wir Kinder waren.
Jetzt im November muss ich immer mal dran denken, an das arme kleine Blättlein, das der Wind so vor sich hertreibt. Jetzt gibts ja viele davon.
Mein Vater war auch wie so ein „Blättlein“. Schon als Jugendlicher ist er von zu Hause fort und war Soldat bei der Marine. Da hat es ihn über alle Meere getrieben und beinah wäre er verloren gegangen. Und dieses Gefühl von Verlorenheit, das habe ich oft bei ihm gehabt, wenn er das Lied gesungen hat. Ich glaube, es war das Lebensgefühl einer ganzen Generation, das wir immer noch mit uns herumtragen. Die Angst wegen der Bomben, dem Hunger, der ganzen Unsicherheit. „German Angst“ nennen es unsere europäischen Nachbarn. Sie meinen, wir würden auf die gegenwärtigen Krisen überängstlich reagieren.
Schlimme Erfahrungen kann man nicht ungeschehen machen. Aber man kann über sie hinauswachsen. In der Bibel erzählt Jesus von einem jungen Mann, der auch beinahe verloren gegangen wäre. Und da, als nichts mehr geht, erinnert er sich daran: du bist ja mal geliebt worden. So wie du bist! Du hast ja einen Vater. Und so geht er wieder nach Hause. Und als der Vater ihn sieht, so abgerissen und abgekämpft, da öffnet er seine Arme und nimmt ihn auf. Einfach so. So ist Gott, sagt Jesus. Wie ein liebender Vater.
Als mein Vater aus dem Krieg zurückgekehrt ist, hat ihn sein leiblicher Vater nicht in die Arme genommen. Das Leben ging einfach weiter und es war viel zu tun und zum Trauern blieb keine Zeit. Aber sein Lied vom Blättlein hat mich schon früh fragen lassen: wo ist denn ein Zuhause für das kleine Blättlein im Wind. Und für alle, die über die Meere getrieben werden und in dunkle Gassen? Wo finden sie Ruhe und Frieden. Gerade jetzt im November. Da wünsche ich Ihnen, dass sie wie ich einen gütigen Vater finden. Einen leiblichen oder einen himmlischen Vater. Bei dem sie ein Hause finden, wo sie bleiben können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16333
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