SWR2 Wort zum Tag

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Im Juni ist im französischsprachigen Raum ein „Manifest des Zusammenlebens" veröffentlich worden, auf Französisch - Manifeste convivialiste. 40 Wissenschaftler unterschiedlicher Fächer haben es zusammen erarbeitet. Sie stellen fest: Auf der einen Seite sind die technischen Möglichkeiten der Menschheit größer denn je. Auf der anderen Seite ist ihre soziale Fähigkeit zu friedlichen Konfliktlösungen keineswegs gewachsen. Vielleicht sind die Menschen weniger fähig denn je, in legitimer Rivalität zu leben, ohne Kriege zu führen und ohne die jeweils konkurrierenden anderen mit Gewalt auszulöschen. Auf einen Nenner gebracht: wir haben technische Möglichkeiten für das Zusammenleben wie nie zuvor - unsere moralische Fähigkeit zum Zusammenleben ist in Anbetracht dieser Möglichkeiten geringer denn je.

Es gibt mannigfache, oft sehr kreative Bemühungen, auf diesen unerträglichen Gegensatz aufmerksam zu machen. Das zeigt sich weltweit in den ungezählten Initiativen des Protests und eines alternativen Lebensstils. Sie wehren sich dagegen, dass in allen Lebensbereichen wirtschaftliche Gesichtspunkte die menschlichen Verhältnisse regieren. Die Kirche ist davon nicht ausgenommen. Die Wissenschaftler machen darauf aufmerksam, dass eben dieses wirtschaftliche Denken in den letzten zwanzig Jahren mehr und mehr die Mentalitäten erobert hat, und dass es so die Regeln und die Grundlagen menschlichen Zusammenlebens zerstört.

Hier erkenne ich die Herausforderung, die das ‚Manifest des Zusammenlebens' für uns Christen bedeutet. Die Wissenschaftler berufen sich keineswegs auf eine Religion, aber sie heben hervor, dass die Beziehungen zwischen den Menschen unser größter Reichtum sind. Damit sprechen sie eine Grundaussage des christlichen Glaubens aus: Der Mensch wurde nach dem Ebenbild eines Gottes geschaffen, der Gemeinschaft in drei Personen ist und unerschöpfliches Leben in Beziehungen. Daher sind auch für den Menschen die Beziehungen, in denen er sich vorfindet und die er knüpft, die wichtigste und nie versiegende Quelle seiner Lebendigkeit.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16255
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