SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Der Herbst ist irgendwie ein Spiegel des Lebens. Im Herbst schafft es die Natur, verschiedenste menschlichen Empfindungen auf ganz unterschiedliche Weise darzustellen. Wenn sich alles verfärbt und die Blätter der Bäume in knalligen bunten Farben leuchten, dann sieht das aus, als würde die Natur eine extravagante Party feiern. Manchmal pfeift mir der kalte Herbstwind so aggressiv um die Ohren, dass ich das Gefühl habe, jemand würde mich anschreien. Aber dann umstreicht ein warmer Herbstwind mein Gesicht, so als wollte er mich umarmen und trösten. Die Wiesen an deren sattes Grün ich mich den Sommer über gewöhnt habe, verändern sich plötzlich und sehen fremd aus. So wie Menschen, an die ich mich gewöhnt hatte, sich manchmal plötzlich verändern. Früh morgens liegt oft ein grauer Nebelschleier über der Welt und es scheint, als ob der Nebel ein Geheimnis verbergen will. Wenn ein richtiger Herbstregen fällt, dann muss ich mich manchmal durch Matsch und Dreck kämpfen, um an mein Ziel zu gelangen. So, wie man sich oft im Leben durchkämpfen und schlimme Schlammschlachten ausfechten muss.  

Sehr traurig finde ich es aber, dass im Herbst alles verblüht und verwelkt. Es erinnert mich daran, dass auch Menschen sterben, so wie die Pflanzen im Herbst. Dann wirkt die Herbststimmung auf mich sehr bedrückend und auf einmal gar nicht mehr so schön knallig und bunt. Ich wünschte, die Planzen müssten nicht sterben und es würde nicht so modrig riechen, wenn die Blätter auf dem Weg verrotten. Ich fühle mich dann so hilflos und enttäuscht, weil ich nicht verhindern kann, dass Blätter, Pflanzen und auch Menschen sterben. Aber auch die Traurigkeit gehört zum Leben. Ich darf nur nicht zulassen, dass mich diese Stimmung so ausfüllt, dass sie die schönen Seiten des Herbstes und des Lebens aus meiner Wahrnehmung verdrängt. Ich will nicht übersehen, dass obwohl die Natur im Herbst zu sterben scheint, die bunten Blätter, die knalligen Farben, die warmen Sonnenstrahlen und der geheimnisvolle Nebel immernoch da sind. Ich will nicht vergessen, dass alles ein großes Ganzes ist, das untrennbar zusammengehört: Der Herbst und der Frühling, die Traurigkeit und das Glück, der Tod und das Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16249
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