SWR2 Wort zum Tag

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Im Neuen Testament beschreibt der Evangelist Markus eine dramatische und irgendwie auch kuriose Szene: Jesus ist in Kafarnaum, und die Menschen drängen zu ihm hin, um seine Botschaft zu hören. Im Haus des Gastgebers ist längst alles voll, selbst vor der Tür ist kein Platz mehr. Da kommen Leute mit einem Gelähmten, denn es hat sich herumgesprochen, dass der Rabbi Jesus heilen kann. Aber für die vier Männer, die die Bahre des Gelähmten tragen, ist einfach kein Durchkommen. Da steigen sie kurzerhand aufs Dach, decken es ab und lassen an Seilen die Bahre des Gelähmten direkt vor Jesus herunter. 

Es braucht zuweilen ungewöhnliche Wege, um mit Jesus in Kontakt zu kommen. Und es braucht auch den Mut, das auf die Seite zu schaffen, was als Hindernis im Weg steht. Der Gelähmte wäre dazu aus eigener Kraft nie in der Lage gewesen. 

Bei uns ist das nicht anders. Wenn wir zu oft enttäuscht und verletzt werden, kann uns das innerlich lähmen, so dass wir dann gar nicht mehr frei sind. Aber halt! Da gibt es die vier Träger, die noch nicht aufgegeben haben. Sie stehen für die Menschen und Kräfte, die uns  im Leben tragen. Es hilft, diese einmal bewusst wahrzunehmen. Menschen, die an unserem Leben Anteil nehmen, die ihre Kraft, ihre Hoffnung und ihren Glauben für uns einsetzen. Die gibt es hoffentlich genauso wie die verborgenen Kräfte der Seele, die uns dorthin bringen, wo Heilung geschieht. 

Markus erzählt noch von einem weiteren Hindernis. Als die Träger mit dem Lahmen da sind, ist der Zugang versperrt vor lauter Menschen. Was für ein treffendes Bild. Denn die Beziehung zu Jesus wird erst einmal durch andere Menschen vermittelt: etwa durch die Eltern, Lehrer, und Pfarrer. Sie können eine Tür zu Jesus öffnen, aber manchmal verhindern sie diesen Zugang auch. Das gilt auch für mich als Theologin. Denn letztlich geht es darum, dass jeder Mensch seinen eigenen Zugang zu Jesus findet. 

Dass jemand den Weg zu Jesus wieder frei räumt - durch ungewöhnliche Aktionen, das erlebe ich bei Papst Franziskus. Es geht ihm nicht in erster Linie um das Haus - also um die Institution Kirche - sondern darum, dass Menschen mit Jesus in Kontakt kommen können. Dass sie seine Nähe erfahren, die gesund macht und alle Lähmungen überwindet. Auch wenn man dafür das Dach abdecken muss...

Ich wünsche mir, dass wir in der Kirche von seiner mutigen und überraschenden Haltung angesteckt werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16246
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