SWR2 Wort zum Tag

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Auf meiner üblichen Spazierrunde komme ich an Schrebergärten vorbei, die jetzt im Herbst voller erntereifer Früchte sind - für manchen Gartenbesitzer fast zuviel. Einer hat deswegen einen kleinen Verkaufsstand vor seinem Garten, wo er anbietet, was der Garten gerade hergibt: Äpfel und Tomaten, Kürbisse und Trauben. Manchmal auch Marmelade und frisch gepressten Saft.
Man kann sich selbst bedienen, es liegen Tüten bereit, eine Waage - und eine Kasse, denn der Gartenbesitzer möchte für die Früchte seiner Arbeit etwas bekommen. 

Ich finde das erstaunlich: irgendwie scheint dieses Geschäft auf gegenseitigem Vertrauen zu funktionieren. Der eine oder andere Apfel wird vielleicht einfach so mitgenommen, aber die meisten Kunden sind offenbar ehrlich, sonst würde der Gartenbesitzer seinen offenen Stand nicht schon so lange betreiben. Auf diese Weise muss er nicht immer dabei sein, um ein paar Früchte zu verkaufen. Und für die Spaziergänger gibt es umgekehrt keine Ladenöffnungszeiten...

Wie sehr wünsche ich mir solches Vertrauen auch an anderen Orten! Um wie vieles leichter wäre das Leben dann. Wenn ich vertrauen kann, dass der andere ehrlich ist, kann ich offen sein. Wenn ich nicht immer kleinlich nachrechnen muss, ob ich das bekomme, was mir zusteht, bin ich gerne großzügig. Freilich funktioniert das nur, wenn sich möglichst viele daran halten. Dann aber wird dadurch das ganze Leben einfacher und reicher - für alle.

Diese Grunderkenntnis durchzieht die 10 Gebote . Sie sind  eigentlich „Weisungen" für ein gutes Leben: Nicht lügen, nicht stehlen, nicht töten, auf den anderen nicht neidisch sein, die elementaren Bindungen achten - zum (Ehe)partner und zu den Eltern - das sind nicht nur Gebote für den einzelnen, sondern Lebensregeln für eine humane Gesellschaft. Für die Israeliten waren diese Gebote von Gott gegeben - nicht nur Gesetzestexte auf steinernen Tafeln sondern den Menschen unmittelbar ins Herz geschrieben. Gott will ein gutes Leben für alle - auch für die Schwachen. Das ist die Grundüberzeugung des Volkes Gottes. Wo diese Übereinkunft zerbricht, entsteht schnell ein Kampf, in dem jeder nur noch sich selbst und seinen eigenen Vorteil im Blick hat. 

Wenn Menschen in einer Gesellschaft zusammen leben, müssen sie um dieses Vertrauen ringen . Das war damals in Israel so und es ist bei uns nicht anders. Es braucht dazu Menschen, die das Wohl des Ganzen im Blick haben und auch zu freiwilliger Selbstbeschränkung und Machtverzicht fähig sind. Solche wie den Gartenbesitzer, über den ich mich bei meinem nächsten Spaziergang wieder freue.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16245
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