SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Es gibt Tage, an denen überhaupt nichts gelingt. Ich habe mir zu viel vorgenommen, das Tagespensum an Arbeit lässt sich überhaupt nicht bewältigen. Ständig klingelt das Telefon und die Leute, die ich telefonisch erreichen möchte, gehen nicht ran. Das sind so Tage, an denen ich am liebsten meinen Frust laut herausschreien möchte.
Doch das geht leider nicht. Jedenfalls habe ich gelernt, dass sich das nicht gehört. Also schlucke ich meine Wut herunter und schweige. Dann drückt sie aber oft noch mehr.
Bei Babys ist das anders. Das hat mir mein kleiner Sohn vor kurzem gezeigt. Irgendwie passte alles nicht. Und weil er mit seinen fünf Monaten ja noch nicht sagen kann, wo der Schuh drückt, hat er geschrien. Den lieben langen Tag lang. Jedenfalls kam es mir so vor. Und ich habe alles getan, was ich tun konnte, um ihm zu helfen. Und ich habe alle Möglichkeiten von der Liste gestrichen: Hunger? Nein! Volle Windel? Nein! Zahnweh? Vielleicht! Fieber? Nein!
Nichts hat geholfen. da habe ich meinen kleinen Sohn einfach auf den Arm genommen und getragen. Und siehe da: Das hat geholfen. Er wurde immer ruhiger und dann lachte er mich an. Alles war gut.
Ich will euch tragen, bis ihr grau werdet. (Jes 46,4) hat Gott selbst den Menschen in einer schwierigen Zeit versprochen. Ich glaube, dass das auch für mich heute gilt. Und ich habe mal überlegt, wann und wo das in meinem Leben passiert. Da sind mir so viele Momente eingefallen, in denen ich zwar meine Wut, meinen Ärger, meinen Schmerz nicht herausgeschrien habe, aber in denen ich mich getragen fühlte. Weil mein Mann mir meine Hand gehalten hat, weil meine beste Freundin Zeit für mich hatte, weil eine Frau aus der Gemeinde an mich dachte und mir einen frischen Kuchen vorbeigebracht hat.
Und ich finde: Es stimmt wirklich: Gott schickt mir Menschen, die mich tragen, die mir Sicherheit und Geborgenheit schenken. Dann muss ich nicht vor Ärger und vor Wut herumschreien. Wenn jemand mir beisteht, dann geht es mir schon besser. So trage ich also meinen kleinen Sohn und bin froh, dass Gott mich trägt bis ich grau werde.

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