Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Wieder zuerst die letzte Seite?" Meine Freundin blättert in ihrem neuen Krimi. „Ja", sagt sie, „wie immer."
„Aber dann ist doch die ganze Spannung weg", sage ich.
„Ach, das macht nichts", sagt sie „ich will einfach wissen, wie's ausgeht."
Machen Sie das vielleicht auch so? Immer zuerst die letzte Seite lesen? Ist ja auch viel nervenschonender.
Das kann man mit einem Buch so machen - mit dem Leben nicht.
Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard hat einmal gesagt: „Das Leben muss vorwärts gelebt, aber rückwärts verstanden werden."
Das Leben ist kein Buch, bei dem man schnell mal das Ende lesen kann.
„Das Leben muss vorwärts gelebt, aber rückwärts verstanden werden."
Vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Denn: was würde man machen, wenn man wüsste, wie es ausgeht?
Dass wir neugierig sind, ist klar. Ich wüsste auch gerne, wie es weitergeht. Dann hätte ich mir viele Fehler ersparen können. Aber ich hätte auch viele Erfahrungen nicht gemacht.
In der Bibel macht auch Joseph, der Lieblingssohn Jakobs, viele Erfahrungen, die er vielleicht lieber nicht gemacht hätte. Er wird von seinen Brüdern als Sklave verkauft und landet im Gefängnis. Aber am Ende versteht er, dass Gott dies alles zu einem guten Ende geführt hat. Er sagt zu seinen Brüdern: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen." (1.Mose 50,20)
Erst vom Ende her erschließt sich manchmal der Sinn unseres Lebens. Joseph versteht am Ende der Geschichte, dass Gott immer bei ihm war - auch wenn er das nicht gemerkt hat. Selbst als Sklave und als Gefangener. Gott lässt ihn nicht allein und führt ihn zu einem guten Ende.
Und darauf vertraue ich auch. Jetzt schon. Bei all meiner Neugier - ich vertraue darauf, dass Gott meinen Weg mit mir geht und dass ich deshalb nicht wissen muss, wie es ausgeht. Das hat auch etwas von Freiheit. Ich kann meine eigenen Entscheidungen treffen und trotzdem darauf vertrauen, dass Gott meinen Weg lenkt.
Anders als meine Freundin muss ich nicht die letzte Seite des Krimis lesen - ein bisschen Spannung muss doch sein. Im Krimi wie im Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16192
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