Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Was du nicht willst was man dir tu, das füg auch keinem andern zu.
Der Spruch ist bekannt, er wird „die goldene Regel" genannt und erscheint den meisten Menschen richtig, so auch mir. Natürlich finde ich diese Lebensweisheit auch in der Bibel, sie geht zurück auf das Gebot Jesu: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst (Mk 12,29). Und ich glaube, die Welt wäre fast wie der Himmel, wenn sich die Menschen an diese einfache Regel halten würden.
Die Regel ist simpel, aber auch ein bisschen abgedroschen; ich hab sie wirklich schon oft gehört. Ein Gefühl dafür bekam ich aber erst, als ich es in der Übersetzung des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber  hörte. Der übersetzt die  Worte aus der Sprache Jesu so: Liebe deinen Nächsten: er ist wie du. Das brachte etwas in mir zum klingen. Es meint ja das gleiche wie die normale deutsche Übersetzung „...wie dich selbst", aber es schwingt in diesem „er ist wie du" etwas Emotionaleres. Der andere ist wie ich. Er hat manchmal schlecht geschlafen, er hat Liebeskummer, er hat Stress auf der Arbeit, er hat Rücken (wie man heute so sagt), er ist wie ich. Deshalb kann ich ihn verstehen, kann mich in ihn hineinversetzen, hab ein Gefühl dafür, wie es ihm geht. Liebe deinen Nächsten, er ist wie du. Wahrscheinlich hat der amerikanische Präsident Barack Obama das auch so empfunden, als er nach der Tötung des farbigen Jungen Trayvon Martin sagte: das könnte mein Sohn sein. Oder ich könnte es gewesen sein: vor 35 Jahren.
Martin war zu Fuß in einer Wohnanlage in Florida unterwegs gewesen und von einem weißen Nachbarschaftswächter verfolgt und erschossen worden. Obama fühlte mit diesem Jungen und seiner Familie, er fühlte dieses Leid, als ob es sein eigenes sei.
Ich glaube, erst wenn so ein Mit-Gefühl entsteht, kann ich das Gebot Jesu zur Nächstenliebe in die Tat umsetzen. Meinen Nächsten lieben: er ist wie ich.

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