SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Normalerweise hab ich so meine Betriebsgeschwindigkeit. Aufstehen, duschen, mit der Kaffeetasse in der Hand Blumen gießen, auf der Fahrt zum Büro ein Telefonat. Kleine Rituale, die mir das Gefühl geben: du hast dein Leben im Griff, du managst das.
Bis meine Mutter kommt. Die ist zwar ganz fit und schnell im Kopf, aber mit dem Laufen ist das so ne Sache. Ohne Arm oder Rollator geht gar nichts. Besser noch wäre Rollstuhl. Aber am liebsten ist ihr der Arm. Man hat ja auch noch ne Würde!
Und da passiert es dann immer. Ihre Würde bremst mich völlig aus. Allein von der Wohnungstür bis zum Auto dauert es dreimal so lang wie gewohnt. Wenn wir einkaufen, nestelt sie umständlich am Geldbeutel rum und lässt die Kassiererin mit freundlichem Lächeln einfach- warten. Wenn wir durch die Einkaufsmeile gehen, muss ich immer wieder mindestens einen Gang runterschalten.
Ein Philosoph hat mal gesagt: es gibt zwei Arten von Zeit. Die eine Zeit ist die, die man plant, organisiert und optimiert. Da ist man der Mittelpunkt. Ist man Herr oder Frau der Lage. Und dann gibt es die andere, die geschenkte Zeit. Da gibt man alle Kontrolle ab. Effektivität und Optimierung spielen keine Rolle. Man ist einfach nur da. Für jemanden oder für etwas.
Die Bibel erzählt von zwei Männern, die auch wie ich ausgebremst worden sind. Sie wollen schnell mal ihren Freund zu Jesus bringen. Aber der Freund ist gelähmt. Und weil mit ihm kein Durchkommen ist durch die Menge, bringen sie ihn auf ein Dach, heben die Ziegeln ab und seilen den Freund von oben ab- direkt vor Jesu Füße. Und dann erleben sie, wie ihr Freund geheilt wird.
So ist das, wenn man ausgebremst wird. Erst ist es nervig. Aber dann erlebt man etwas sehr Heilsames. Geschenkte Zeit. Erfüllte Zeit.

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