SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

"Sieh das Bild mal an, das habe ich gemalt, es ist schön." Mit diesem Satz macht mich Brigitte auf ihr Bild aufmerksam. Brigitte ist 55 Jahre alt und geistig behindert. Und Brigitte hat Recht, ihr Bild ist schön, es ist wert, dass ich es mir ansehe.

"Sieh das Bild mal an, das habe ich gemalt." Brigitte möchte, dass ich meinen Blick auf ihr Bild richte. Aber es geht ihr nicht nur um das Bild, sondern Brigitte erzählt direkt von sich. Wie alt sie ist, wie lange sie schon im Heim wohnt, dass sie sich dort wohl fühlt und dass sie zu Weihnachten eine neue Uhr bekommen hat. Sie möchte, dass ich mir nicht nur ihr Bild anschaue, sondern dass ich mich ihr zuwende. "Sieh mein Bild an", heißt eigentlich: "Sieh mich an."

In ihrer spontanen Art kann sie leichter das formulieren, was ich mir auch oft wünsche, aber nicht getraue zu sagen. "Sieh mich an, wende dich mir zu." Auch ich möchte angesehen werden, vielleicht nicht von jedem und der ganzen Welt, aber doch von den Menschen, die mir wichtig sind. Die sollen mich nicht aus den Augen verlieren. Angesehen zu sein, zu wissen es gibt welche, die sehen nach mir, denen bin ich nicht egal, das tut gut.

Auch in der Beziehung zwischen Gott und Mensch geht es um Ansehen. Gott schenkt jedem Menschen sein Ansehen. Ein phantastischer Gedanke: Gott sieht jeden von uns an. Selbst wenn unsere Mitmenschen uns kein Ansehen mehr schenken, bei Gott gehen wir nicht verloren, er verliert uns nicht aus den Augen. In den jahrtausend alten Worten der Bibel sagt der Beter: "Herr, mein Gott, mein Vater im Himmel, wie schön, dass du mich siehst, du kennst mich ...Ich kann ja keinen Schritt tun, bei dem du mich nicht begleitest ... wie in zwei großen Händen hältst du mich." (Ps 139 in der Übersetzung von Jörg Zink)

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