SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Im Treff für Wohnungslose: Franz kommt rein. Er setzt sich, packt seinen Tabak und die Blättchen aus und dreht sich eine Zigarette. Er hebt den Kopf einwenig in Richtung Sozialarbeiter und sagt: „Kannst du mal für mich beim Sozi anrufen - er meint damit das Sozialamt - ich bräucht 'nen Übernachtungsschein. Da ist nämich 'ne Neue auf'm Sozi und die ist so komisch."

Franz ist etwa fünfzig Jahre alt, sieht aber bedeutend älter aus. Und obwohl er heute frisch geduscht und rasiert ist, macht er einen fertigen Eindruck. Er ist müde, zu müde, um ewig zu fragen und zu bitten. Seine Bewegungen sind langsam, seine Worte leise. Er ist seit Jahren auf der Straße. Er hat die typische Karriere nach unten durchlaufen: Arbeitslosigkeit, Griff zur Flasche, Scheidung und schließlich die Straße. Franz ist sicherlich einer von den Letzten in unserer Gesellschaft - ein Verlierer - ein Looser.

In der Bibel heißt es: „Im Reich Gottes werden die Letzten die Ersten sein." Für Franz klingt dies nach billiger Vertröstung auf's Jenseits. Wichtiger als irgendwann einen Platz im Himmel ist ihm hier und heute der Übernachtungsschein. Ich kann ihn gut verstehen, wenn er für solche Bibelsprüche nicht empfänglich ist. Zulange hat die Kirche Menschen mit dem Hinweis auf den Himmel vertröstet. "Wenn es dir hier dreckig geht, mach dir nichts draus, im Himmel geht es dir dafür umso besser."  So die Menschen im Namen Jesu zu vertrösten, bedeutet nur die halbe Wahrheit zu verkünden. Denn für Jesus ist der Himmel - das Reich Gottes - nicht nur eine jenseitige Geschichte. Nach Jesus hat der Himmel hier auf der Erde schon zu beginnen. Und die eigentliche Aufgabe für uns Christen liegt darin, so oft wie möglich und für so viele Menschen wie möglich ein Stück Himmel auf die Erde zu holen. Und Himmel ist überall dort, wo die Letzten die Ersten sind. Wo man sich um Menschen wie Franz kümmert, z.B. mit einem Übernachtungsschein.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16048
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