SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

"Ausgerechnet. Das macht der doch mit Absicht! Um mich zu ärgern." so schimpfe ich öfter. Es gibt so Tage, da ist Gelassenheit nicht meine hervorragendste Eigenschaft. Ich bewundere Leute, die einen kühlen Kopf bewahren und dem Gegenüber erst mal nichts Böses unterstellen, wenn es hoch her geht.
So wie Johannes Keppler, der große Mathematiker. Ihm hat einmal ein Weinhändler eine zu hohe Rechnung gestellt. Ausgerechnet ihm - dem Rechengenie.
Vor genau vierhundert Jahren, im Jahr 1613, hat Keppler geheiratet und für seine Hochzeit Wein in Fässern bestellt. Den Preis für die Lieferung hat der Händler mit einem einfachen Rechenstab berechnet. Und Keppler merkte sofort: Da stimmt etwas nicht. Die Inhaltsberechnung ist falsch.
Aber Keppler hat den Händler nicht verärgert angeschnauzt. Er hat ihn auch nicht verdächtigt, dass er ihn übers Ohr hauen wollte. Der berühmte Mathematiker hat sich hingesetzt und eine Rechen-Methode zur genauen Inhaltsberechnung von Weinfässern entwickelt.
Mit gefällt an der Geschichte, dass es einer fertig bringt, aus einer ärgerlichen Sache etwas Gutes werden zu lassen. Der Weinhändler war für ihn nicht einfach ein Betrüger. Keppler hat begriffen: Der kann es nicht besser. Dem Mann muss man helfen. Man muss ihm eine geeignete Rechenmethode zur Verfügung stellen.
Vielleicht lag es ja daran, dass Keppler gerade in Hochzeitsstimmung war. Da sind die Menschen vermutlich versöhnlicher gestimmt. Und unterstellen der ganzen Welt, dass sie es gut meint. Oder dass auch die anderen selbst ein wenig verliebt sind. Da kann es schon mal vorkommen, dass man sich verrechnet. Oder es einfach nicht besser weiß.
Eine neue Rechenmethode entwickeln kann ich nicht. Aber damit rechnen, dass nicht alles böse gemeint ist, was mir mit anderen passiert: das könnte ich versuchen.

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