SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ferienlektüre. Endlich in Ruhe lesen können, was keinem Zweck dient.
Für mich war es in diesem Sommer ein Buch des Schriftstellers Hanns-Josef Ortheil. „Das Kind, das nicht fragte." In dem Roman begegne ich einem Mann, die auf der Suche ist nach einer Sprache, die ihn sein eigenes Leben verstehen lässt. Benjamin Merz, ein Ethnologe, einer, der beruflich anderen Leuten Fragen stellt, um deren Leben zu ergründen.
Er selbst hingegen wurde selten gefragt. Schon gar nicht als Kind. Wuchs auf unter älteren Brüdern, die ihn bevormundeten. Aber nie danach fragten, was ihn eigentlich bewegte.
Auf einer Reise nach Sizilien, kommt er in eine fremde Stadt. Überraschenderweise ist es der alte Dom, von dem er sich zuerst aufgenommen fühlt.
Er schätzt die besondere Atmosphäre des Raumes, wenn gerade kein Gottesdienst stattfindet. Anders als seine Brüder, die das feste Ritual  suchen, berührt ihn die  Weite eines Gotteshauses, in dem gerade nichts geschieht. Der leere Raum, der ihn anregt, seine eigene Sprache zu finden.
„Meine Brüder," so erinnert er sich, „schließen sich der Sprache der Gottesdienste und offiziellen Gebete an. Das ist nicht falsch. Es sollte aber nicht alles sein, nein, die Sprache der Gottesdienste und offiziellen Gebete sollte lediglich eine Vorgabe dafür sein, dass man zu einer eigenen Sprache findet. Zu einer Glaubenssprache. Zu einer Sprache vor Gott."
Benjamin erinnert sich an seine erste Beichte.  Ein wunderbarer Dialog entfaltet sich daraus. Er, der nie gefragt wurde, lernt  im Gespräch mit dem Priester, von sich zu erzählen. Seine eigenen Fragen zu stellen und ernst zu nehmen. Und schließlich auch die Antworten zu finden.
Dass der Glaube in erster Linie lehrt, Fragen zu stellen, nicht Antworten zu geben, das hat mir an dieser Geschichte besonders gefallen. Der Glaube als eine Sprache, mit der die wundersamen und oft auch rätselhaften Dinge des Lebens benennbar und befragbar werden. Und  in der dann auch - im offenen Fragen und Nachdenken - Gott zu Wort kommen kann.
Wenn es in der Bibel heißt, „Am Anfang war das Wort", dann ist sicher auch das gemeint. Dass die Welt nicht unverstanden bleiben soll. Und mir mein Leben nicht unverständlich.
Sondern dass sich Gott im Wort, in der Sprache, mitteilt. Eben da, wo Menschen einander zu Wort kommen lassen und sich gegenseitig ins Gespräch ziehen. Und sich erzählen von den  wundersamen und rätselhaften Dingen ihres Lebens.
So wie Kinder, die das Fragen und Staunen noch nicht verlernt haben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15966
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