SWR2 Wort zum Tag

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„Das Christentum ist für mich die Religion, die den Ekel überwunden hat." Kühne Behauptung, habe ich gedacht, als ich diesen Satz gehört habe. Der Romanschriftsteller und Theologe Klaas Huizing hat ihn gesagt. „Das Christentum ist für mich die Religion, die den Ekel überwunden hat."
Ich finde, es ist was dran an dieser Behauptung. Aber vor allem finde ich wichtig, dass sie wirklich mit Leben gefüllt wird.
Jesus findet das nicht, darum hat er folgende Geschichte erzählt. Bei einer intensiven Diskussion zur Frage: Wer ist „mein Nächster"?
Jesus hat die Frage beantwortet mit der Geschichte eines Menschen, der überfallen wird. Er wird zusammengeschlagen, ausgeraubt. Er liegt da, im Dreck, blutig, verschmiert. Kein schöner Anblick. Zwei Männer kommen vorbei und lassen ihn liegen. Der Ekel hindert sie, ihm nah zu kommen, hält sie auf Distanz.
Erst ein dritter Mann in Jesu Geschichte überwindet diese. Wenn es ihn geschaudert hat, den Verletzten zu berühren, dann hat er es überwunden.
Für Jesus ist er ein Vorbild. Weil er sich nicht davon abhalten lässt, dem der Hilfe braucht, nahe zu kommen. Berührend zuzupacken. Es ist ihm egal, dass er sich schmutzig macht. Jesus sagt mit seiner Geschichte: Mein Nächster ist auch der Verletzte.
Diese Geschichte ist in unseren christlichen Wertekatalog eingegangen.
Und wirkt bis heute als Ansporn, dass Menschen Mitmenschlichkeit über das Bedürfnis stellen, sauber zu bleiben. Sich nicht mit Fremdem zu infizieren.
Dabei ist der Distanzaffekt des Ekels ja stark in uns:
„Kleine Kinder wickeln, das kann ich nie," hat mir kürzlich ein junger Mann gesagt. „Dieser Geruch und dass man auch noch selbst Hand anlegen soll."
Aber ich bin sicher, wenn er Vater werden sollte, dann kann er es doch.
Liebe überwindet sogar Ekel. Wäre auch schlimm für die Kinder, wenn es anders wäre.
Und nicht nur für Säuglinge: Wenn etwas nicht wund bleiben, sondern im Gegenteil wieder gut werden soll, dann muss jemand Berührungsängste überwinden. Duftfrei, gestankfrei und clean geht es nicht.
Nur in einer Nähe, in der Ekel keine Rolle mehr spielt, werden Wunden heil.
Für mich tritt in so einer Nähe Gott ein.
Wenn wir diese Nähe nicht mehr aufbauen könnten, das wäre schlimm:
Ein Notarzt könnte einen schwer Verletzten nicht mehr berühren.
Oder jemand, der einen anderen pflegt, hätte Ekel und könnte ihn nicht überwinden.
Berührend zuzupacken. Ich glaube, das muss jeder immer wieder üben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15946
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