SWR2 Wort zum Tag

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Menschen können einander nur verstehen, wenn sie es auch verstehen, einander zuzuhören. Das ist eine Binsenweisheit! Dafür braucht man eigentlich kein Handbuch für Kommunikation. Und trotzdem gehen menschliche Verständigungsbemühungen oft genug in die Binsen. Ein Großteil an Querelen und Zwist könnte vermieden werden, wenn Menschen einander wirklich zuhörten.
Es gehört fast schon zum Ritual des Streitens, haarscharf aneinander vorbeizuhören. Da wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, geprüft und gewendet, als habe das Gegenüber jedes gesprochene Wort zu verantworten. Und meist werden die gesprochenen Worte dann von ihrem negativen Assoziationsspektrum her gedeutet.
So gehen wir sonst kaum miteinander um, in Streitsituationen jedoch ist das eine Art Strategie, ein verbales Fallen-Stellen. Ebenso wie die andere Untugend des Miteinander-Streitens: Ich höre zwischen den Zeilen genau das heraus, was gerade nicht gesagt sein sollte oder wollte. Dann verstehe ich den anderen gerade nicht so, wie er oder sie von mir verstanden sein will. Darin liegt durchaus eine Absicht, eine Strategie, jene des verbalen Fallen-Stellens.
Echtes Zuhören ist mehr als nur die Ohren aufzumachen. Mit bloßem akustischem Hinhören hat das wenig zu tun. Zuhören ist eher ein Zulassen-Können. Wenn ich zuhöre, dann lasse ich zu, dass es noch andere Stimmen gibt als die meiner eigenen Selbstgewissheit. Und diese Stimmen haben mir etwas zu sagen. Vielleicht gerade nichts, was für meine Ohren bequem wäre. Doch ich lasse es zu und höre diesen Stimmen zu. Ich lasse sie gelten und lasse sie sprechen, aussprechen.
Für mich ist das eine zutiefst christliche Tugend des Miteinander-Umgehens. Sie formuliert für Streitsituationen aus, was es heißt, den Nächsten zu lieben wie mich selbst. Ich versuche, den anderen so gut zu verstehen wie ich mich selbst verstehe.
Tatsächlich kann das bewusste und gezielte Zuhören sogar dazu verhelfen, „besser" zu streiten. Streit ist ja nur dann negativ und belastend, wenn er in gegenseitigen Schuldzuweisungen endet. Die Kunst des Zuhörens führt mich dagegen über mich selbst und meine engen Grenzen hinaus: Ich werde offen für das Anliegen anderer und für eine andere Sichtweise als die eigene.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15918
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