Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Körperliche Schmerzen fürchten vor allem die Gesunden. Bei Sterbenden spielen sie eher eine untergeordnete Rolle", sagt Dr. Borasio in einem Interview.
Gian Domenico Borasio könnte es wissen. Er ist Palliativmediziner, er kümmert sich um Sterbende und versucht ihre Schmerzen zu lindern.
Umso erstaunlicher, dass Dr. Borasio sagt: „Es sind weniger die körperlichen als vielmehr die psychosozialen Leiden, die dem Menschen am Ende zusetzen. Wenn einer keinen Sinn mehr sieht, weil es ihm unerträglich wird, auf andere angewiesen zu sein. Ihnen womöglich zur Last zu fallen. Darunter leiden Sterbende manchmal fürchterlich."
„Es wäre vermessen, einen Tod ohne Leid zu versprechen", sagt er. „Leiden gehört zum Leben und auch zum Sterben. Palliativmediziner können in fast allen Fällen die körperlichen Schmerzen auf ein erträgliches Maß reduzieren. Für die seelischen Leiden braucht es aber viel mehr. Da braucht es persönliche Zuwendung, Gespräche. Nicht nur Ärzte, sondern genauso Pflegekräfte, Psychologen, Sozialarbeiter, Seelsorger und Hospizmitarbeiter helfen dabei, dass Familien am Lebensende gut miteinander klar kommen. Das Zwischenmenschliche ist in den letzten Stunden genauso wichtig wie die medizinische Systemkontrolle und die Erträglichkeit der Schmerzen."
Dr. Borasio sagt: „Es ist technisch nicht so schwierig, die letzten 24 Stunden eines Menschen friedvoll zu gestalten. Was wirklich schwierig und aufwändig sein kann, ist die letzten 24 Monate eines Menschen lebenswert zu gestalten."
Darum geht es wohl, denke ich. Die letzten 24 Monate seines Lebens lebenswert gestalten. Also die letzten zwei Jahre. Das Blöde ist nur, keiner weiß wann diese zwei Jahre anfangen!
Also bleibt mir nur, schon jetzt das Leben so zu gestalten, dass das Zwischenmenschliche seinen Platz bekommt.
Mein Leben früh morgens beginnen mit dem Satz: Ja, dieser Tag ist geschenkte Zeit. Meine Zeit in Gottes Händen. Ich habe heute Zeit für das Lachen und Weinen und will viel Zeit haben für ein gutes Miteinander. Vielleicht ist dies die beste Art das Leben zu gestalten. Im Angesicht des Sterbens das Leben lernen und das Leben genießen.
Am Ende sagt Dr. Borasio dann noch: „Ich habe noch nie einen Sterbenden getroffen, der am Ende sagte: Ich wünschte, ich hätte im Leben mehr gearbeitet."
Ouh, denke ich, hat er mich da etwa gerade erwischt?

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