SWR2 Wort zum Tag

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„Es ist keine Schande, glücklich zu sein. Heutzutage aber ist der Dummkopf König, und ich nenne jeden einen Dummkopf, der sich vorm Genießen fürchtet." So steht es keck in dem wunderbaren Essay „Hochzeit in Tipasa".  Albert Camus, vor  1oo Jahren geboren, beschreibt darin  selige Aufbruchserfahrungen.Draussen vor der Riesenstadt Algier, wo er in einem Armenviertel aufwuchs,  liegen die römischen Ruinen über dem Meer und nahe daran; dort fanden Camus und seine Freunde ihr Eldorado. Im Text heißt es „Begraben unter  den Gerüchen der wilden Kräuter und dem einschläfernden Geschrill der Insekten hebe ich Herz und Augen gegen die unerträgliche Größe des gluterfüllten Himmels. Es ist nicht leicht, der zu werden, der man ist, und die eigene Tiefe auszuloten." So genießt Camus mit allen Sinnen und intoniert einen vielstimmigen Sonnengesang .

Nicht ohne Gründe hat er all jene im Visier, die Angst haben vor der Freiheit. In einer Welt, in deralles erarbeitet und verdient werden muss,  steht selbst die Freizeit unter Konsumzwang. In der kapitalistischen Lebens- und Denkform  muß alles einen Zweck und Sinn haben. Für das kreative Leben eines Taugenichts ist da kein Platz. Mit Genuss  meint der junge Camus genau dieses absichts- und zwecklose Dasein im erfüllten Hier und Jetzt. Zeitlebens wird er ein Anwalt auch des Sinnlosen sein. Die Welt ist schrecklicher und schöner als unser Begreifen. Geniessen heißt für Camus nicht nur Sehen, sondern Schauen - hin und  weg, und voll da.Gerade unter Christen gab und gibt es  leider die Tendenz, alles  unter Verzicht oder Verbot zu stellen, was schön ist und lustvoll.  Da ist Genuss  ein Fremdwort, mit negativem Beigeschmack gar und gleich unter Egoismus-Verdacht. Zu groß scheint die Angst, sich ganz zu leben.Eine solche Einstellung hält Camus nicht nur  für  falsch und schlecht, er hält sie für dumm. Sich die Lust am Dasein entgehen zu lassen   und die Möglichkeiten nicht voll auszuschöpfen, ist sträflich. Recht hat der spätere Nobelpreisträger. „Liebhaber des Lebens" nennt ja auch die Bibel den wahren Gott, Liebhaber des Lebens könnten auch wir sein  - in dieser sommerlichen Erntezeit erst recht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15848
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