Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Die Kreuzwege des Lebens gehen wir immer ganz allein" singt der Liedermacher Reinhard Mey. Ich horche auf und denke: Ja, so ist es. Auch wenn das nicht schön ist. Dieses Alleinsein. Verlassen von Gott und der Welt. Denn das ist es, was mit „Kreuzwege" gemeint ist: Das sind die Momente, in denen man sich ganz allein fühlt.
So wie Jesus. Die Bibel erzählt das sehr ausführlich. Wie ihn all seine Freunde im Stich gelassen haben. Wie er verspottet und gefoltert worden ist und dann sein Kreuz allein schleppen musste. Bis zu seiner Hinrichtung.
Wenn es hart auf hart kommt, dann sind viele auf einmal ganz allein. Oder fühlen sich jedenfalls so. Wenn sich zum Beispiel ein geliebter Mensch abwendet und andere Wege geht. Wenn eine erschreckende Diagnose die Welt aus den Angeln hebt. Wenn nach einer Kündigung plötzlich das Leben aus den Fugen gerät.
Wer ist dann noch da, um diesen Schock, den Schmerz und die Einsamkeit mitzutragen?
Auf den Kreuzwegen des Lebens, wenn es ganz schlimm kommt, dann fühlt man sich oft allein oder ist es auch. Krankheit, den Verlust eines lieben Menschen, Trauer, das Gefühl von Leere. Nichts davon kann einem jemand wirklich abnehmen. Das ist so. So ist es sogar Jesus schon gegangen.
Wenn ich aber in der Bibel weiterlese, erfahre ich: der Weg von Jesus - der endet nicht am Kreuz. Sondern nach Karfreitag kommt Ostern, ein neuer Anfang.
Auch wenn man den Kreuzweg alleine gehen muss, führt er am Ende in etwas Neues. Und durch das Alleinsein hindurch entsteht eine neue Gemeinschaft. Mit Gott und mit anderen.
Es ist ein bisschen wie eine Bergwanderung. Schaffe ich das? Habe ich mich gefragt, als ich den letzten steilen Anstieg bis zum Gipfel vor mir hatte. Das war in den Alpen. Und auf diesem Weg gab es vierzehn Stationen des Kreuzweges Jesu. An jeder einzelnen Station habe ich den Leidensweg Jesu im Bild dargestellt gesehen. Nach der letzten Station war ich oben. Vor mir eröffnete sich ein wunderbarer Ausblick bis ins Tal. Und ich war wieder im Einklang mit allem. Mit Gott, mit der Welt und mir selbst.
Die Kreuzwege des Lebens geht man allein. Ja. Aber ich glaube fest: sie führen uns nicht ans Ende, sondern zum Anfang eines neuen Lebens.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15822
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