SWR2 Wort zum Tag

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100 Jahre ist es jetzt alt, das Schulhaus in unserem Dorf. Und dieses Jubiläum wurde kräftig gefeiert. Zwei Wochen lang haben sich die Schulkinder aus diesem Anlass mit dem Thema „Schule früher" beschäftigt  - ein Schulmuseum besucht, alte Kinderspiele gelernt, Sütterlin-Schrift geübt - und fanden das alles sehr spannend. Am Ende stand ein großes Schulfest, zu dem das ganze Dorf eingeladen war.
Aber nicht alle älteren Leute aus dem Ort sind der Einladung an ihre alte Schule gefolgt: Nein, sie würden da nicht mehr hingehen, so hieß es von einigen. Sie hätten keine guten Erinnerungen an ihre Schulzeit. Ganz schnell war die Rede von den Prügeln und - manchmal noch schlimmer - anderen Demütigungen, die damals an der Tagesordnung waren. Und es wurde deutlich: einige dieser Erfahrungen sind bis heute nicht verwunden.
Schule früher hat, die Älteren unter Ihnen werden es selbst am besten wissen, wenig Rücksicht auf die Seelen von Kindern und Jugendlichen genommen - und Pfarrer und Kirche haben da oft, leider, auch keine rühmliche Rolle gespielt. „Wer seinen Sohn liebt, hält den Stock für ihn bereit" (Sir. 30,1) - solche biblischen Maximen waren Leitlinien für eine sogenannte „christliche Erziehung". Und viele, die darunter zu leiden hatten, wollten nach solchen Erfahrungen nicht nur mit Schule, sondern auch mit Kirche nichts mehr zu tun haben. Ich kann das gut verstehen - und finde es traurig.
Dabei gibt es in der Bibel auch Stellen, die ganz andere Vorzeichen für den Umgang mit Kindern geben. Gerade Jesus hat immer wieder daran erinnert, dass Kinder Wertschätzung erfahren sollen - und das in einer Zeit, in der ein solcher Gedanke alles andere als selbstverständlich war. Von ihm ist überliefert, dass er ein kleines Kind in die Mitte seiner Jünger gestellt  hat. „Wer dieses Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf" (Lk 9,48 par), hat er seine Jünger dazu wissen lassen und ihnen so klar gemacht, dass die Kleinsten bei ihm groß sind.
Dass Pädagogik, gerade auch christliche Pädagogik, von den Kindern her denken muss, diese Einsicht hat sich inzwischen Gott sei Dank durchgesetzt. Das macht die Aufgabe für Lehrerinnen und Lehrer heute nicht immer einfacher. Aber das Schuljubiläum hat mich daran erinnert, wie dankbar ich bin, dass ich selbst ohne Angst in die Schule gehen und dort viele positive Erfahrungen machen konnte. Und wie froh ich bin, dass meine Tochter heute so gerne in das alte Schulhaus geht - und später hoffentlich auch gerne an ihre alte Schule zurückkehren wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15789
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