SWR2 Wort zum Tag

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Am Sonntagmorgen noch hatte ich in der Bischofskirche von Hoima in Uganda der Predigt über das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter zugehört. „Wer ist mein Nächster?" - mit dieser Frage an Jesus beginnt es. Am Abend dann erlebe ich,  wie diese Frage im konkreten Alltag ausgelegt wird: „Wer ist mein Nächster?"und: „Wem werde ich zum Nächsten?"

Die Fahrt hatte die kleine Reisegruppe, mit der ich Uganda vor kurzem besucht habe, weit ins Bergland hinein geführt. Eine romantische Landschaft,  eine üppige Vegetation. Runde Lehmhütten, mit Stroh gedeckt, säumen in kleinen Ansiedlungen den Weg. Aber die Idylle täuscht. Die Dörfer haben weder Strom noch Wasserversorgung. Motorisierter Verkehr ist fast unmöglich; die Frauen müssen ihre Feldfrüchte in langen Tagesmärschen zum nächsten Markt bringen und kommen oft ohne Erlös zurück. Ein vergessenes Land und von der Regierung im Stich gelassene Menschen.

Hier oben, im Dorf Orussi, abgeschieden von jeder Zivilisation, betreut Schwester  Florence Owacha Jembi ein Gesundheitszentrum. Etwa 80 Frauen, Männer, Kinder  finden hier Platz - bei einem Einzugsbereich von rund 12.000 Menschen, nicht mitgerechnet eine unbekannte Zahl von Flüchtlingen aus dem nahe gelegenen Kongo, die bei den Menschen hier Hilfe suchen, obwohl diese selbst nichts haben.

An der Wand hängen Schaubilder mit Statistiken. In den letzten eineinhalb Jahren wurden hier rund 1.800 Aidskranke registriert. Erschreckend hoch ist die Kindersterblichkeit. An oberster Stelle steht Malaria, dicht gefolgt von Aids; in Europa leicht zu behandelnde Krankheiten wie Lungenentzündungen, Masern und selbst Magen-Darm-Infektionen bedeuten hier oft das sichere Todesurteil. Bis Schwerkranke, Verletzte, Frauen mit Geburtskomplikationen in die nächste Klinik gebracht werden können, sind sie vielleicht bereits gestorben.

Für diese Menschen ist Sr. Florence zusammen mit einigen wenigen Helferinnen da. Einen Arzt gibt es weit und breit nicht - es kommt alleine auf ihre Kompetenz an und auf ihren Einsatz rund um die Uhr. Sie wirkt keineswegs resigniert oder mutlos, im Gegenteil: man begegnet in ihr einer Persönlichkeit, die in sich ruht und Zuversicht ausstrahlt. Natürlich hat sie Wünsche, dringende Wünsche - nicht für sich, sondern für ihre Patientinnen und Patienten: erweiterte Räume, damit noch mehr aufgenommen werden können, einen neuen Raum für die Untersuchung und Behandlung der Aidskranken ...

„Wer ist mein Nächster?", und: „Wem werde ich zum Nächsten?" Mehr als jede Predigt zu diesem Thema wird mir Sr. Florence in Erinnerung bleiben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15786
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