SWR2 Wort zum Tag

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Der Großvater von Thomas Bernhard, dem österreichischen Dichter, hatte ein ganz spezielles Verhältnis zu Krankenhausseelsorgern, meinem Berufsstand. Als er im Sterben lag, und morgens um halb sechs an der Tür der von ihm gehasste Krankenhauspfarrer erschien um ihm die letzte Ölung zu geben, sagte er mit letzter Kraft, aber doch sehr deutlich: „Hinaus!" Woraufhin sich der Geistliche unverzüglich aus dem Krankenzimmer des Großvaters entfernte.

Heute läuft das alles sehr viel dezenter ab. In der Regel werden die Patienten bei ihrer Aufnahme nicht nur gefragt, ob sie vegetarische Speisen bevorzugen, oder eine Psychologin sich um sie kümmern soll, sondern auch: ob sie den Besuch eines Krankenhausseelsorgers wünschen. Und immer wieder sagen Patienten uns: Schön, dass es sie gibt, aber: Ich hoffe, noch ist es nicht soweit. Krankenhausseelsorge - das hört sich immer noch an nach: Jetzt hilft keine Medizin mehr. Jetzt geht's zu Ende.

Sicher, dafür sind wir ja auch da: für die letzten Stunden. Wie bei dem Patienten, mit dem ich eine Stunde das Vaterunser gebetet habe, das Gebet seiner Kindheit, dass er noch auswendig konnte, als er schon keinen Menschen mehr erkannt hat. Und nach einer Stunde begann er zu singen: „Geh aus mein Herz und suche Freud". Ein Patient übrigens, der schon lange aus der Kirche ausgetreten war.

Oder die Patientin, die wusste, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte, die auf der Suche war und mit der ich in die Kapelle gegangen bin. Wenige Stunden vor ihrem Tod ließ sie sich taufen.

Oder bei dem jungen Mann, kurz vor seinem Tod, der etwas so schlichtes brauchte wie: einen kühles Tuch auf die Stirn und jemanden, der ihm die Hand hält. Seine Frau konnte das alles nicht mehr ertragen: die Krankheit, das schnelle Sterben, vor allem ihre eigene Hilflosigkeit.
Oder bei der alten Frau, deren Selbsttötungsversuch missglückt war, die nun einsam auf der Intensivstation lag, nicht mehr sprechen konnten.

Man kann durchaus „Hinaus" rufen, wenn der Krankenhausseelsorger in der Tür erscheint. Oder „Nein" ankreuzen, wenn man gefragt wird.  Aber man kann sich diesen Menschen auch erst einmal anschauen. Das Miteinander Reden fällt einfach leichter, wenn man sich eine Weile kennt. Und ich bin - wie meine Kollegen und Kolleginnen - für alle da im Krankenhaus: für die Pfleger, die Ärzte, die Schwestern, die Angehörigen - die Kranken und die Gesunden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15745
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