SWR2 Wort zum Tag

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Ich bin ein Gast auf Erden, so heißt ein Lied des bekanntesten protestantischen Liederdichters, Paul Gerhardt – ein kräftiges Pilgerlied, nicht nur für Protestanten.
Vor ungefähr 4 Millionen Jahren, so sagen uns Wissenschaftler, habe es zum ersten Mal menschliches Leben auf unserem Planeten gegeben. 4000 Millionen Jahre wer-de es voraussichtlich dauern, bis der Planet seinen Wärmetod stirbt und erlischt.
Auf diesem für menschliche Augen nicht überschaubaren Zeitstrahl lebe ich – mit extrem kurzer Verweildauer. Meine Kenntnis über das, was vor mir war, endet bei wenigen Generationen vor mir. Von dem, was nach mir sein wird, geben mir allen-falls Kinder und Enkelkinder eine Ahnung.
Ich bin ein Gast auf Erden, so heißt ein Lied des bekanntesten protestantischen Liederdichters, Paul Gerhardt. Es steht im evangelischen Kirchengesangbuch. Ich verstehe es als einen geistlichen Reflex auf die Erfahrung der zeitlichen Begrenzung und Vorläufigkeit des Lebens.
Die Indizien des Vorläufigen zählt Paul Gerhardt auf: Müh und Not, Kummer und Sorgen auf dem eigenen Lebensweg und dem anderer, Verfolgung, Hass und Neid. Das Lebenswidrige, das Lebensbedrohliche einer Biographie in Zeiten des Dreißig-jährigen Krieges kommt deutlich zur Sprache.
Man könnte diese Beschreibung leicht anreichern mit Erfahrungen von heute – und darüber depressiv oder zum Zyniker werden.
Paul Gerhardt steht für eine deutlich andere Position. Für ihn ist nicht der Weg das Ziel, wie man heute gerne sagt. Denn die Erfahrungen des Weges sind in der Summe eher desillusionierend.
Paul Gerhardt fasst dagegen sein Ziel fest ins Auge und dichtet: „So will ich zwar nun treiben/ mein Leben durch die Welt/doch denk ich nicht zu bleiben/in diesem fremden Zelt/Ich wandre meine Straße,/die zu der Heimat führt/da mich ohn alle Maße/mein Vater trösten wird.“
Zwischen religiöser Weltflucht und zynischer Weltverachtung nimmt Paul Gerhardt seinen Weg. Nicht als einer, dem die Welt gleichgültig wäre, sondern als einer, der weiß, wohin der Kompass seines Lebens zeigt: zum Haus, wo der Vater wohnt, der, der „alles ganz und gar in seinen Händen trägt“.
Ich bin ein Gast auf Erden, ein kräftiges Pilgerlied ist das, nicht nur für Protestan-ten, eine Einübung ins Unterwegssein – mit einer himmlischen Perspektive.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1574
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