SWR2 Wort zum Tag

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Im Mittelpunkt des christlichen Glaubens steht als religiöse Urszene eine Mahlzeit – eine Einladung, die Kraft gemeinsamen Essens und Trinkens neu zu entdecken.
Was ihm an diesem Land besonders aufgefallen sei, wurde ein ausländischer Gast nach seinem Aufenthalt in Deutschland gefragt. Dass viele Leute in Deutschland beim Gehen essen, war seine Antwort.
Seitdem achte ich darauf – und finde, es stimmt tatsächlich: viele Leute essen im Gehen. Jedenfalls in den Fußgängerzonen unserer Städte kann man das immer wieder sehen. Kauende, dahineilende Leute, unterwegs zum nächsten wichtigen Termin.
Der Soziologe Georg Simmel schrieb vor beinahe 100 Jahren: „Von allem nun, was den Menschen gemeinsam ist, ist das Gemeinsamste: dass sie essen und trinken müssen“. Aber erst das Zusammenfinden zur gemeinsamen Mahlzeit überwinde den „bloßen Naturalismus des Essens“ und mache aus den vielen Einzelnen eine große Tischgemeinschaft.
Simmel vergisst nicht darauf hinzuweisen, dass im Mittelpunkt des christlichen Glaubens als religiöse Urszene schlechthin eine Mahlzeit steht: kraftvolles Symbol einer Gemeinschaft, die die Grenzen des persönlichen Egoismus überwindet.
Wer in die Bibel schaut, stellt tatsächlich fest: da wird ständig gegessen und ge-trunken. Die biblischen Mahlzeiten sind meistens verbunden mit einem Gastgeber, der keine Grenzen zieht. Wenn Jesus zum Mahl lädt, sind alle eingeladen: Zöllner und Huren, Rechtschaffene und Querschläger.
Ich möchte gerne das Essen als Mahlzeit wieder neu entdecken. Um erleben zu können, wie gut es ist, wenn ich mit anderen am Tisch sitze, ein Stück Lebenszeit teile und bei Tisch erfahre, was dem Anderen wichtig ist.
Denn das ist doch das Grundlegende: Essen und Trinken schaffen Gemeinschaft. Die Mahlzeit, die Gemeinschaft beim Mahl, war Jesus etwas so Kostbares, dass sie ihm zum Symbol wurde für das Kommen des Gottesreiches. Dann, wenn alle Men-schen in Frieden miteinander am gedeckten Tisch sitzen werden.
Ein bisschen erinnert daran das Wort „Mahlzeit“, das sich Menschen um die Mit-tagszeit manchmal zurufen. Gemeint ist ja eigentlich: „Gesegnete Mahlzeit“. Womit wir uns wünschen, dass uns die Zeit des Mahles wieder kostbar wird, wir sie sozu-sagen auf der Zunge spüren. Am besten geschieht das so, dass wir uns in Ruhe zusammensetzen und mit anderen Menschen gemeinsam essen. Wenigstens einmal am Tag.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1573
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