SWR2 Wort zum Tag

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Das Schöne drängt sich nicht auf. Es zu finden bedarf eines hellen und wachen Blicks
„Die Schönheit liegt im Blick“, so lautete das Motto einer Einladung zu einer Kunst-ausstellung, die mir neulich ins Haus flatterte. In der Tat, unser Blick bestimmt darüber, wie wir die Welt wahrnehmen.
Es ist eben nicht so, dass wir das Gute und Schöne einfach vor die Nase gesetzt bekommen. Das Schöne drängt sich nicht auf. Es zu finden, bedarf eines hellen und wachen Blicks.
In diesem Sinn hat Martin Luther einmal von der Liebe Gottes gesprochen. Auch sie findet, was liebenswert ist, nicht einfach auf der Straße. Aber die Liebe hat den erfinderischen Blick, der Menschen und Dinge verwandelt und sie schön macht.
„Die Liebe Gottes“, so sagt Martin Luther, „findet nicht vor, was seiner Liebe wert ist, sondern erschafft es. Wenn Gottes Liebe am Menschen lebendig wirksam wird, so liebt sie Sünder, Törichte, Böse, Schwache, um sie zu Gerechten, Guten, Wei-sen, Starken zu machen. Die Sünder sind deshalb schön, weil sie geliebt werden, sie werden nicht deshalb geliebt, weil sie schön sind.“
Heute ist Sommeranfang. Eine gute Gelegenheit, einmal die Probe aufs Exempel zu machen: ob wir nämlich in dieser Welt – oftmals trotz und gegen allen Augenschein – immer noch die gute Schöpfung Gottes entdecken können. Ob wir trotz allem, was man Kritisches über die Weltlage oder den Zustand des Planeten sagen kann, uns einlassen wollen auf den liebevollen Blick Gottes, der die Augen öffnen kann für das Gute und Schöne, das in jedem einzelnen Leben aufleuchtet.
Die Schönheit liegt im Blick. Zuallererst im Blick des Gottes, der uns gnädig an-sieht, so dass mein und dein Leben schön wird. Dessen Angesicht uns leuchtet, wie es im Segen am Ende jedes Gottesdienstes heißt, damit auch unsere Augen leuch-ten.
Einen solchen hellen Blick hatte die jüdische Dichterin Mascha Kaléko, die vor ziem-lich genau 100 Jahren geboren wurde – trotz eines bitteren Lebens, das sie als Jü-din zu leben gezwungen war. In einem der schönsten Sommergedichte, die ich kenne, schreibt sie:
„Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen/und dass es regnet, hagelt, friert und schneit./Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,/wenn Heckenrosen und Ho-lunder blühen …/Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht und dass die Son-ne täglich neu aufgeht.“
Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1572
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