SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„1984" hat George Orwell seinen Roman genannt, in dem ein Konzern die Macht über alle Menschen gewinnt und siebis in ihr privates Leben durchleuchtet. Orwell hat das damals als Zukunftsvision beschrieben und kaum jemand hat gedacht, dass es einmal so weit kommen würde. Aber die Affäre um den Amerikaner Edward Snowden hat ja gezeigt, dass die Gemeindienste vor nichts Halt machen und dass ich als Privatperson davon ausgehen muss, dass mein Handy und mein Internetanschluss längst durchleuchtet sind. Es klingt wie in einem Science-Fiction-Film,aber es ist wohl die Wirklichkeit, in der wir heute leben. Und eigentlich muss keiner davon überrascht sein. An den Werbemails und -anrufen, die mich erreichen, merke ich ja schon lange, dass viele Firmen genau wissen, was ich kaufe, lese und was ich in meiner Freizeit und im Beruf so treibe. Wie gesagt, überraschend kommt das nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es wirklich jemanden interessiert, was ich als Otto-Normalbürger mache, und trotzdem fühlt es sich nicht gut an. Ich muss zwarnichts verbergen, aber ich will trotzdem selbst entscheiden, wer welches Wissen über mich hat. Es ist ja auch aus guten Gründen so, dass die deutsche Verfassung mir das Recht auf Schutz der Privatsphäre zuspricht.

Das Spannende ist, dass die Religion dieses Gefühl auch gegenüber Gott kennt. Bis ins 20. Jahrhundert haben Pfarrer, Lehrer und Eltern geglaubt, dass sie ihre Kinder besser erziehen würden, wenn sie sagen, dass Gott alles sieht. Und diese Kinder haben später als Erwachsene auch an diesem Big-brother-Gott festgehalten. Es gibt einen Psalm, der mir deshalb so gefällt, weil er mit Gott deshalb ringt und beschreibt, dass man vor Gott nirgendwohin fliehen kann, nicht mal ins Totenreich. Da heißt es: „Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir. Von fern erkennst du meine Gedanken" und „Von allen Seiten umgibst Du mich".  Hier geht es um dasselbe bedrängende Gefühl wie bei der Datenspionage. Der Unterschied ist aber, dass ich bei Gott die Vorstellung habe, dass er es gut mit mir meint. Am Ende des Psalms steht die Bitte, dass Gott meine Wege prüft und mich auf gute Wege führt. Für mich heißt das, dass ich auf einen Gott hoffe, der mich zwar durch und durch kennt und vor dem ich mich nicht schämen muss. Aber auch, dass er seine Liebe zu mir so zeigen kann, dass er meine Grenzen respektiert und mich mit diesen Grenzen zum Guten führt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15706
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