SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Hilft es wirklich, wenn ich für Andere bete? Der Arzt und Psychotherapeut Anton Retzer meint, dass es nicht nur nichts hilft, wenn ich für andere Menschen bete, sondern dass ich ihnen damit sogar schaden kann. Er beruft sich dafür auf eine Studie, die Wissenschaftler 2006 in Amerika gemacht haben. Sie haben dort über drei Jahre die therapeutische Wirkung von Fürbitten untersucht. In dieser Studie haben die Forscher 1800 Herzpatienten, die eine Bypass-Operation bekommen sollten, in drei Gruppen eingeteilt: eine Gruppe, für die man gebetet hat, die aber nicht davon informiert worden ist; eine Gruppe, für die man nicht gebetet hat und die auch nichts davon wussten und eine Gruppe, die man informiert hat, dass man täglich für sie betet. Das Ergebnis ist für Retzer eindeutig ausgefallen: Ob gebetet wird oder nicht, hat keinen Einfluss auf die Überlebensrate oder auf Komplikationen bei den Patienten. Aber bei der Gruppe, die davon wusste, dass man für sie betet sind mehr Komplikationen aufgetreten als bei anderen Patienten.

Das klingt doch eindeutig. Und als ich davon gehört habe, habe ich mich natürlich gefragt, ob ich dann also das Beten für andere besser sein lasse, wenn es ihnen vielleicht sogar schadet. Aber dann ist mir etwas an dem Experiment aufgefallen: Wenn man herzkranken Patienten vor einer Operation sagt, dass man für sie betet, kann das für sie ja auch heißen: Es steht wohl schlimm um Dich. Da hilft nur noch beten. Und wenn ich mir vorstelle, ich wäre so ein Patient und vor einem Eingriff sagt man mir, dass man für mich betet, würde ich sicher denken: Aha, so schlimm steht es also um mich. Aber es steht ja noch auf einem ganz anderen Blatt, wie das Beten wirkt, wenn ich als Betroffener andere um ihr Gebet bitte. Ich kenne es von Prüfungssituationen, in denen es mich schon beruhigt hat, wenn ich wußte, dass andere an mich denken und für mich beten. Es kommt ja auch darauf an, was ich mir vom Beten erhoffe: Gott ist für mich kein Wunscherfüllungsautomat, dem ich meine Wünsche vorbeten muss, und wenn ich die richtige Formulierung erwischt habe und auch sonst alles richtig gemacht habe, dann erfüllt er meine Bitten.

Wenn ich für andere bete, dann ist es oft auch, weil ich ihnen helfen will aber nicht kann. Und ich finde Gott eine gute Adresse, an die ich mich wenden kann, wenn ich an meine Grenzen gekommen bin. Ohne Anspruch auf Erfüllung meiner Bitten, einfach, als Zuflucht. Und so werde ich in Zukunft auch weiter für andere beten. Nur muss ich es ihnen ja nicht immer sagen. Frei nach Motto: Tu Gutes und sprich nicht darüber.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15704
weiterlesen...