SWR2 Wort zum Tag
SWR2 Wort zum Tag
Bei Gott bin ich sicher vor mir selber
Manchmal erlebe ich den Morgen gerade so, als müsste ich einen Schutzraum verlassen. Der Wecker klingelt, die Bettdecke zur Seite. Aufstehen. Ich muss raus. Ich kann mich nicht länger verkriechen - ich muss mich zeigen.
Ein neuer Tag - wie eine neue Herausforderung. Andere fordern mich, ich fordere etwas von mir. Das drängt - und bedrängt mich bisweilen. Ich puffere das ab und gehe nicht gleich vor die Tür. Ich zögere, ich verzögere. Und dann gebe ich mir einen Schubs, einen geistigen Impuls für den ersten Schritt nach draußen. Geistiger Proviant für den Tag. In letzter Zeit ist das ein ganz kurzes Gedicht von Kurt Marti. Der Schweizer Dichter-Pfarrer hat es „Psälmlein" überschrieben. Also so etwas wie ein Mini-Gebet.
gott
mein Versteck
wo ich sicher bin
vor feinden
sicher auch
vor mir selber
Das hilft mir - wenn es eng wird. Dann spreche ich es lautlos vor mich hin. Immer wieder einmal - im Lauf des Tages. Damit ich nicht vergesse: Es ist ein Schutz da im Ungeschützten. Wenn mich Anforderungen bedrängen und bedrücken, wenn mich abschätzige Bemerkungen kränken. Eine Zuflucht, ein Versteck geht mit mir.
Gott
mein Versteck
wo ich sicher bin
vor feinden
sicher
auch vor mir selber.
Diese andere, zweite Seite des Gedichts, übersehe ich dabei leicht:
Manchmal bin ich mir selber bedrohlich. Und ich weiß, da bin ich gar nicht allein. Wie nagen Zweifel, Ängste, und Vorwürfe nicht nur an mir. Wie klein kann man sich machen. In einem Augenblick. Und umgekehrt: Wie gnadenlos kann ich mich auch überfordern, weil ich meine, alles das muss ich unbedingt erreichen. Heute noch. Auch dann ist dies eine Wort mein Schutz:
Gott,
mein Versteck, wo ich sicher bin
sicher auch
vor mir selber.
Ein heilsames Wort - das daran er-innert:
da bin ich geliebt, ohne mich immerzu als liebenswert beweisen zu müssen,
da bin ich angesehen, ohne mich inszenieren zu müssen,
da bin ich frei, ohne dass ich mir meine Befreiung erst erkämpfen muss.
Gott
mein Versteck
wo ich sicher bin
vor feinden
sicher
auch vor mir selber.
Mein „Psälmlein" für den Tag - ein Wort, mit dem ich wieder und wieder aufbrechen kann, gestärkt - ins Freie.
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