SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Es gibt Tage, die beginnen leicht und heiter: wenn ich gut geschlafen habe und die Morgensonne mich wach kitzelt, wenn Kaffeeduft in meine Nase steigt und freundliche Menschen um mich sind, wenn ich einen freien Tag vor mir habe...

Dann, so sollte man meinen, fällt das Dankbar-sein leicht, so wie es in einem afrikanischen Morgengebet zum Ausdruck kommt:

Herr, ich werfe meine Freude wie Vögel an den Himmel.
Die Nacht ist verflattert. Ein neuer Tag aus deinen Händen. Herr ich danke dir! 

Doch Dankbarkeit kommt nicht von selbst. Sie setzt voraus, dass ich mit wachen Sinnen lebe. Dankbarkeit erwächst aus der Achtsamkeit gerade den kleinen Dingen gegenüber: einem freundlichen Blick, einer schönen Blume, einem unverhofften Zufall.

Danken kommt vom Denken. Wer nachzudenken beginnt, wird sich bewusst, dass nichts selbstverständlich ist. Über alles kann ich ins Staunen geraten: Dass der Morgen die Nacht ablöst und die Sonne wieder aufgeht. Dass der Schlaf die Müdigkeit des vergangenen Tages in neue Lebenskraft verwandelte. Dass ich im Aufwachen zu mir komme und anknüpfen kann an die Erinnerung schon gelebter Tage und Jahre. Je mehr ich ins Nachdenken komme, desto mehr drängt sich die Frage auf: Ist es bloßer Zufall, eine Laune von Atomen und Genen oder gehört alles zu einem großen, sinnvollen Ganzen? Haben wir das Leben einfach so oder wurde es uns geschenkt? 

Doch wenn alles - mein Leben und das Leben überhaupt - ein Geschenk ist, ergibt das nicht eine ungeheure Abhängigkeit und Verpflichtung gegenüber dem, der alles geschaffen hat? Muss man nicht um der eigenen Freiheit und Unabhängigkeit willen gegen diese permanente Dankbarkeit rebellieren? 

Herr, ich werfe meine Freude wie Vögel an den Himmel. Die Nacht ist verflattert. Ein neuer Tag aus deinen Händen. Herr ich danke dir! 

Wer so betet, glaubt, dass letztlich Gott der Ursprung von allem ist, dass er ihm alles verdankt. Aber diese Dankbarkeit erdrückt nicht. Im Gegenteil: sie macht fröhlich und heiter. Von ihr her bekommt alles Bedeutung und Sinn, die aufgehende Sonne und die Lust am Leben. Wer so betet, kennt Gott nicht als einen Buchhalter, der all seine Geschenke penibel auflistet sondern als einen, der ohne Berechnung aus seiner Fülle gibt. Einfach aus Liebe. Wer so betet, ist nicht gefeit gegen schlechte Tage, doch er wird für die kleinen Lichtblicke aufmerksam sein. Und im Mosaik seiner Erfahrungen kann immer wieder der Goldgrund aufleuchten, dass Gott ihn liebt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15686
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