Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Meine Nichte hatte kürzlich Konfirmation. Hinterher bekam sie nach gutem alten Brauch ihre Geschenke: eine Bibel, ein Handy und jede Menge Silber-schmuck. Man sah den Geschenken an, dass sie mit viel Liebe und Sorgfalt ausgewählt worden waren; ich weiß kaum zu sagen, wer sich mehr gefreut hat: die Beschenkte oder die Schenkenden.
Als sie ihre neuen Schätze hinreichend gewürdigt und alles Geschmeide angelegt hat, lehnt sie sich zurück und strahlt in die Runde.
Da erzählt einer von den Gästen:
„Weißt du, wie das bei meiner Konfirmation war? Also, mein Vater fragte mich irgendwann: Warum willst du eigentlich konfirmiert werden. - Wegen der Geschenke, antwortete ich. Das fand er gar nicht gut. Er rief alle Freunde, Verwandte und Paten an und sagte ihnen, sie sollten mir kein Geschenk machen, ich hätte beschlossen, auf Geschenke zu verzichten. Stattdessen sollten sie das Geld für einen guten Zweck spenden.
Ich ahnte nichts davon und ging zwei Jahre lang brav und eifrig in den Konfir-mandenunterricht. Als dann der große Tag der Konfirmation kam, wunderte ich mich, dass keiner Anstalten machte, mir was zu schenken. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und fragte jemanden: Sag mal, wie ist das denn eigentlich mit den Geschenken? Und dann kam die Sache ans Licht.“
Große Empörung unter allen Zuhörern: „Wie gemein!“, „Zwei Jahre ganz umsonst!“, „Das hätte dir dein Vater aber sagen müssen!“
„Warst du denn nicht furchtbar böse auf deinen Vater?“ fragt meine Nichte. „Nö, eigentlich nicht. Ich muss wohl hinzufügen: mein Vater stammt aus dem Orient und ist kein Christ. Ich wusste ja, wie sehr es ihn stört, wenn es uns Christen an Ernsthaftigkeit mangelt. Deshalb war ich gar nicht so böse.“
Und so, wie er darüber lachen kann, glaubt man ihm aufs Wort.
Er hatte seinen Vater ganz bewusst provoziert und dafür die Quittung erhalten. Mag man sich auch über die Erziehungsmethode streiten, er hatte sie akzeptiert. Denn er hatte das Anliegen seines Vaters verstanden.
Umsonst war die Zeit sicher auch nicht: Kein Mensch geht mit Eifer in den Konfirmandenunterricht, wenn es nur um die Geschenke ginge. Und wenn man genau hinsieht, ist er auch nicht leer ausgegangen: noch heute erzählt er voller Freude seine Geschichte und strahlt dabei über das ganze Gesicht.
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