SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Wenn ich mich so richtig geärgert habe, kann ich schlecht einschlafen. Dann drehe ich mich unruhig von einer Seite auf die andere. In Gedanken diskutiere ich noch wild herum. Und natürlich rege ich mich auf.
Der Apostel Paulus scheint das gekannt zu haben. Glaube ich zumindest. Denn so hat er vielleicht das gelernt, was er in der Bibel mal so ausgedrückt hat: „Lass die Sonne nicht über deinem Zorn untergehen". Nie im Zorn einschlafen also.
Eine gute Lebensregel. Nicht einfach, aber klug.
Vielleicht kann ich den Streit vor dem Einschlafen noch ausräumen. Mich aufraffen und sagen: „Entschuldige, es tut mir leid. Ich war ein Esel." Oder die versöhnliche Mail noch losschicken, bevor ich den PC runterfahre.
Meinem Stolz tut das vielleicht nicht unbedingt gut. Meinem Seelenfrieden schon.
„Lass die Sonne nicht über deinem Zorn untergehen".
Mich beruhigt es, dass Paulus nicht sagt: „Zorn ist etwas Schlechtes. Du darfst nicht zornig sein."
Nein, ich darf zornig sein. Warum auch nicht? Zorn kann ja sein Gutes haben. Wenn ich mich über etwas aufrege, was ich ungerecht finde, dann fällt mir vielleicht auch ein, wie es besser gehen kann. Und was ich dazu beitragen kann. Manchmal bringt mich der Zorn auf gute Gedanken. Er bringt mich in Bewegung.
Und mit der Faust auf den Tisch hauen ist schließlich etwas anderes als auf jemanden losgehen. Im Paulus-Deutsch klingt das so: „Seid ihr zornig, dann sündigt nicht!" Noch so eine kluge Regel. Zorn braucht Grenzen.
Wenn ich dem Zorn freien Lauf lasse, tut er, was er will: nicht rechts noch links schauen, einfach drauflos stürmen, andere verletzen und leichtfertig einreißen, was nicht leicht wieder aufzubauen geht.
Das Abendgebet erinnert mich übrigens immer daran: es ist Zeit, mich von meinem Zorn zu verabschieden. Wie sollte ich auch mit geballter Faust beten können?

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