SWR2 Wort zum Tag

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Früher habe ich mir Gott anders vorgestellt als heute. So manches Bild ist da vom Sockel gefallen, (und ich musste mich traurig davon verabschieden). Und ich finde es tröstlich, dass viele Menschen aus der Bibel im Laufe ihres Lebens Ähnliches erfahren haben. Abraham ist so jemand. Die Geschichte mit Isaak, seinem Sohn, erzählt, wie sich Abrahams Gottesbild gewaltig verändert. Es beginnt damit, dass Gott Abraham auf die Probe stellt. Er verlangt von ihm doch tatsächlich, seinen Sohn Isaak zu opfern. Abraham gehorcht. Er trifft alle Vorbereitungen, steigt mit Isaak auf den Berg, den Gott ihm genannt hat. Schließlich liegt der Junge gefesselt auf dem Opferaltar, doch als Abraham mit dem Messer ausholt, gebietet ein Engel Gottes ihm vom Himmel her Einhalt.
Auf den 1. Blick ist das eine düstere, eine unheimliche Geschichte. Das Happy-End macht die Schrecken von vorher nicht vergessen. Aber es fällt auf, dass es zum Ende heißt: Abraham nannte jenen Ort Jahwe-Jire, und das bedeutet: auf dem Berg lässt sich der Herr sehen. Abraham hat also auf diesem Berg Gott gesehen, hat erkannt, dass Gott keine Menschenopfer will. Er hat gesehen: Gott ist anders als ich ihn mir bisher vorgestellt habe.
Zu den uralten Wurzeln von Abrahams Glauben gehörte wohl die Vorstellung von einem Wetter- und Berggott. Dieser Gott musste besänftigt und günstig gestimmt werden. Und dazu gehörte selbstverständlich auch das Opfer der Erstgeburt.
In unserer Erzählung fällt auf, dass Gott mit 2 verschiedenen Namen genannt wird: El - was wir meistens mit „Gott" übersetzen - El gibt Abraham den Auftrag, Isaak zu opfern und nennt ihm auch den Ort. Jahwe - meist übersetzt mit „der Herr" - Jahwe lässt den Engel Einhalt gebieten, und nach ihm nennt Abraham dann ja auch den Ort: Jahwe-Jire: auf dem Berg lässt sich der Herr sehen. Abraham findet also hier den Weg von El zu Jahwe, von einem Gott, der Menschenopfer fordert, zu dem, der seinen Engel sagen lässt: Tu dem Kind nichts zuleide. Abraham erkennt Gott plötzlich nicht mehr in der traditionellen Pflicht, sondern im Gesicht des Kindes. Nicht die Gebräuche der Vorfahren sagen ihm, was er zu tun hat, sondern Gott ruft ihn aus dem angsterfüllten Gesicht des Kindes.
Am Anfang der Geschichte heißt es, dass Gott Abraham prüft. Vom Ende her gesehen ist klar: Gott prüft nicht, ob Abraham gehorsam und opferbereit ist. Es geht darum, ob sein Herz und sein Auge wach sind und offen. Wach für den Blick des Kindes und seine eigene Liebe als Vater und offen für ein neues Bild von Gott.

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