SWR3 Gedanken

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Es ist ein irritierendes Bild, das da vier Wochen lang in Köln zu sehen war. Ein Mann kniet auf der Straße. In andächtiger Haltung, den Kopf gesenkt, kniet er da auf dem Pflaster der New Yorker Wall Street, direkt vor dem berühmten Gebäude der Börse.
Zlatko Kopljar heißt der Mann. Ein Künstler aus Bosnien, der mit seinen Fotos irritieren will. Das geschäftige Treiben vor der Börse und der in sich versunkene Mann auf dem Pflaster. Sie passen einfach nicht zusammen, denn seine Haltung ist es, die irritiert. Sich auf den Boden zu knien ist ein tief beeindruckendes Zeichen. Ich mache mich ja freiwillig klein, erniedrige mich. Eine Geste der Demut, vielleicht sogar der stillen Anbetung.
Aber hier? Ein demütiger Kniefall vor der Welt des Kapitals? Die Anbetung des Dow-Jones-Index? Slatko Kopljar lässt die Antwort offen. Er kniete sich auch vor dem Weißen Haus in Washington, dem Parlamentsgebäude in Peking und anderen bedeutsamen Orten. Die Bilder sind nicht minder irritierend und vielleicht gerade dadurch entlarvend. Die Aktion lässt sich schließlich beliebig weiterdenken. Warum also nicht auch ein Kniefall vor dem Apple-Store, der Shoppingmall, der Fußballarena, dem Vatikan? Und dann?
Vor Gott niederzuknien ist immer weniger angesagt. Fragt sich nur, vor wem oder was ich stattdessen heute in die Knie gehe?

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