SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Ich ärgere mich so über mich!" Die alte Frau rang sichtlich um Fassung. Sie war auf den sogenannten „Enkeltrick" hereingefallen. Der geht so: alte und alleinstehende Menschen bekommen einen Telefonanruf eines angeblichen Enkels. In dramatischen Worten schildert er seine Notlage. Er brauche sofort Hilfe, am besten Geld. In Angst und Schrecken versetzt sammeln die alten Menschen alles Bargeld im Haus zusammen und übergeben es einem Boten, der wenig später an ihrer Haustüre klingelt. Bald darauf stellt sich heraus, dass alles frei erfunden war. Ein Anruf beim echten Enkel bringt Klarheit.
„Ich ärgere mich so über mich! Wie konnte ich nur so gutgläubig sein. Geld und Schmuck habe ich weggegeben. Schmuck, den mein Mann mir zur Hochzeit geschenkt hatte."
Ich kannte die alte Frau. Sie hat es schwer genug im Leben ohne ihren verstorbenen Mann. Und jetzt war sie auch noch Opfer eines schlimmen Betruges geworden.
Ich finde das gemein. Aber dann denke ich: wer barmherzig sein möchte, sollte auch das Denken nicht vergessen. Andererseits sollte man aus lauter Misstrauen nicht die Barmherzigkeit über Bord werfen.
Was kann die alte Frau trösten? Dass die Polizei alles tun wird, um die Täter zu finden? Da gibt es wenig Hoffnung. „Geld und Schmuck sind für immer weg", hatte ihr die Polizei gesagt.
Kann sie vielleicht der Gedanke trösten, dass es im Himmel einmal so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit geben wird? So verstehen ja manche den Satz von Jesus aus der Bergpredigt: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen."  Barmherzig ist die alte Frau ja gewesen. Wird sie dafür im Himmel irgendwie entschädigt?
Ich hoffe darauf, dass der Satz von Jesus wahr ist und es etwas Schönes im Himmel geben wird für alle, die barmherzig waren. Ich hoffe das für die alte Frau und für alle anderen, die sich über ihre Gutgläubigkeit ärgern.

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