SWR2 Wort zum Tag

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Martin Buber, der große jüdische Religionsphilosoph, hat die folgende wunderbare Begebenheit erzählt. Mich fasziniert, wie viel in dieser Geschichte auf knappstem Raum über Gott gesagt wird.
Der Meister, so erzählt Buber, spricht einen Schüler, der eben bei ihm eintritt, so an: „Mosche, was ist das, ‚Gott'?" Der Schüler schweigt. Der Meister fragt ihn zum zweiten- und zum dritten Mal: „Warum schweigst du?" „Weil ich es nicht weiß", antwortet der Schüler. „Weiß ich's denn?", spricht da der Rebbe. „Aber ich muss sagen, denn so ist es, dass ich es sagen muss: Er ist deutlich da, und außer Ihm ist nichts deutlich da, und das ist Er."
Am Anfang des Gesprächs steht noch das Verstummen vor der Frage, was das denn überhaupt ist - Gott. Dann aber bricht der Meister das Schweigen. Er kann nicht anders: angesichts der Fülle, der Größe, der Weite und Tiefe der Welt muss er von Gott reden.
Aus der armen Welt des osteuropäischen jüdischen Schtetels stammt diese Geschichte. Dort lebte man eingekreist von Feinden und war immer wieder Pogromen ausgeliefert. Aber gerade hier blühte eine Glaubenszuversicht und Gottesgewissheit, die sich weigerte, zu verzagen oder sich der Resignation auszuliefern.
„Seht Ihr denn nicht? Hört Ihr denn nicht? Begreift Ihr denn nicht? ", lautet die Frage, die die Geschichte den Zuhörenden stellt: größer als alles, was euch den Mut nehmen will, ist das, was euch immer wieder neuen Mut schenkt. Deutlicher als die Feindseligkeit, die euch Tag für Tag auf den Straßen und Gassen entgegenschlägt, ist die Seligkeit, dass Gott gegenwärtig ist.
Mich erinnert diese Geschichte an einen anderen Meister der Mystik aus einer ganz anderen Gegend. Es ist der reformierte Laienprediger Gerhard Tersteegen, der im 18. Jahrhundert am Niederrhein lebte. Er war aus seinem Beruf ausgestiegen und überzeugt, dass Gott das Allergegenwärtigste sei. Gott ist in der Mitte, heißt es in einem seiner Lieder. Tersteegen vergleicht darin Gott mit der Luft, die wir atmen. Mit dem Licht, das uns jeden Morgen neu weckt. Mit dem Meer, dessen Grund und Tiefe ohne Ende ist.
Der Rebbe und der Prediger - zwei, die sich nie begegnet sind. Und die doch in der unglaublichen Gewissheit miteinander verbunden waren, dass Gott nicht fern ist. Und alles darauf ankommt zu entdecken, wie nah er ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15535
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