SWR2 Wort zum Tag

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Jesus vergleicht Menschen mit Schafen, die ohne Hirten sind.
Beim Joggen bin ich an einer Herde Schafe vorbei gelaufen, die in einem Gatter grasten. Die Schafe haben sich furchtbar vor mir erschrocken und flüchteten in wirrem Galopp. Jetzt finde ich mich persönlich eigentlich gar nicht so schrecklich, aber Schafe sehen das offenbar anders. Vor einiger Zeit haben sich in der Eifel 247 Schafe gegenseitig an einem Gatter erdrückt, als sie in Panik, wohl vor einem streunenden Hund, flüchteten. Schafe ohne Hirten sind offensichtlich ziemlich hilflos, ja sogar in Todesgefahr.
Für Schafe kann es ziemlich schnell eng werden. Bedrückend eng.
Jesus geht umher und vergleicht die Menschen, die er sieht, mit Schafen ohne Hirten, und es sticht ihm ins Herz. Das steht im Matthäusevangelium.
Es ist gar nicht selbstverständlich, dass jemand so genau hinsieht. Und sich berühren lässt.
Denn: Schafe kann man auch ganz anders betrachten:
Dem Hund ist das Schicksal der Schafe gleichgültig. Sein Jagdtrieb ist ihm ein ganz natürlicher Ansporn, und wenn keine Kraft ihn bändigt, würden auch 500 tote Schafe kein schlechtes Gewissen bei ihm auslösen.
Die Joggerin findet, dass Schafe eine wunderschöne Dekoration einer sommerlichen Wiese sind und zügelt etwas das Tempo, um die Schafe nicht mehr zu erschrecken. Sie denkt an die letzten Lammkoteletts beim Griechen.
Der Schafhirt beklagt den finanziellen Verlust von 20000 Euro, so viel sind die toten Schafe wert.
Schafe kann man so betrachten. Menschenschafe auch. Als Kollateralschaden bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Als Kostenfaktor. Als Stimmvieh. Als Menschenmaterial. Menschen können sich auch selbst so sehen. Sich klein machen, sich selbst krank machen und andere mit dazu.
Menschen-Schafe. Die sich auch selbst, dem eigenen Körper, der eigenen Seele gegenüber zum grausamen Wolf werden können.
Jesus sieht sich das an. Und es trifft ihn, so wörtlich, ein bis in die Eingeweide gehender Schmerz. Jesus findet sich nicht ab mit der Entwürdigung der Schafe, mit ihm glauben Christen an einen Gott, der sich menschliches Elend so zu Herzen nimmt, dass es ihm weh tut. Gott macht sich in Jesus sehr verletzlich, sehr menschlich. Das Himmelreich kommt nicht auf die Erde, ohne sich die Hände schmutzig zu machen.
Für mich zählt sein Blick, mit dem er mich ansieht. Ein Blick, der mich berührt, weil er selbst berührt ist und berührbar. Ich möchte gerne daran glauben, dass er es gut mit mir meint. Und mit den anderen Menschen auf dieser Erde. Vielleicht lerne ich so, auch liebevoll und sorgsam mit mir selbst umzugehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15517
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