SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Zu meinen Kindheitserinnerungen gehört die Sonne. Sie wurde mir vom Arzt verschrieben. Als Kind des Ruhrgebiets, des staubigen und rußigen Kohlenpotts, blass und mager, immer hustend und schnupfend, wurde ich einmal in der Woche für eine viertel Stunde mit dunkler Sonnenbrille vor die Höhensonne gesetzt. „Warum?" „Damit du gesund bleibst", sagte meine Mutter. Und ich saß im Hemdchen frierend auf der Kunstledercouch in der Arztpraxis. An der Wand der Werbeslogan für die Höhensonne : „Wenn du dein Kind von Herzen liebst, so lass zur Pflicht dir werden, dass du ihm die Gesundheit gibst, als größten Schatz auf Erden. Lass durch der Höhensonne Strahl vor Krankheit es bewahren, der Dienst verzinst sich tausendmal in spätern Lebensjahren."
Ob das wirklich so gesund war - wer weiß? Sicher aber sorgte die frühe Höhensonnen-Erfahrung dafür, dass mir von allen Kirchenliedern eines das liebste wurde: „Die güldne Sonne voll Freud und Wonne bringt unsern Grenzen mit ihrem Glänzen ein herzerquickendes liebliches Licht." Zehn Minuten in Ruhe draußen in der Sonne sitzen, verschafft schon einen Hauch von Urlaub, von Muße und Glück. „Mein Haupt und Glieder, die lagen darnieder. Aber nun steh ich, bin munter und fröhlich, schaue den Himmel mit meinem Gesicht." Erst im Bett, vielleicht sogar krank im Bett, müde und matt - dann aber wieder auf den Beinen: munter und fröhlich in der Sonne. Helligkeit ohne Wärme, das kann unbarmherzig sein.  Wärme im Dunkeln - das wäre ein finsteres Treibhaus. Hell und warm - das ist für uns die Sonne.
Was Paul Gerhardts Lied so deutlich von der Werbung für Höhensonne unterscheidet: Mitten im herzerquickenden Sonnenschein wagt Paul Gerhardt, an die Grenze unseres Leben zu erinnern. „Menschliches Wesen, was ist´s gewesen, in einer Stunde, geht es zugrunde, sobald das Lüftlein des Todes drein bläst." heißt es in dem Lied. Selbst der gesündeste Mensch ist nicht unsterblich. In diesem Leben ist Gesundheit ein Schatz, den wir hüten sollen. Zur Not vielleicht auch mit Höhensonne. Aber dieses Leben ist nicht alles. Erst die Sonnenstrahlen von Gottes Barmherzigkeit „heilen im Herzen die tödlichen Schmerzen, halten uns zeitlich und ewig gesund." In diesem heilsamen Licht die Grenze zwischen diesem Leben und einem anderen Leben sehen lernen - „das verzinst sich tausend mal in späteren Lebensjahren."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15458
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