SWR2 Wort zum Tag

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„Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod." Ob der alte Herr die Bibelworte an seinem Sterbebett noch gehört hat, weiß ich nicht. Doch seine Tochter, die neben mir stand, unterbrach mich. „ Der Tod ist doch eine Erlösung für ihn. Der Tod ist sein Freund, nicht sein Feind."
Sie hatte ja Recht. Drei Wochen hatte ihr Vater im Koma gelegen. Beim Fahrradfahren war er so übel gestürzt. Doch selbst wenn die Ärzte ihn hätten retten können: er wäre nie wieder der geworden, der er gewesen war: der lebenskluge, gebildete Gesprächspartner. Für sie war der Tod ihres Vaters sicher eine Erlösung: sie hätte es nicht länger mit ansehen können, wie er in seinem Bett lag und nur noch wirre Worte von sich geben konnte. Sie war sich sicher: Auch für ihn, der Zeit seines Lebens so gesund, so aktiv, so präsent gewesen war, bedeutete der Tod eine Befreiung von der trüben Aussicht, niemals mehr gesund werden zu können. Der Tod als Freund - in der Bibel gibt es auch dieses Bild. „Herr, Gott, du bist unsere Zuflucht für und für, der du die Menschen lassest sterben und sprichst: kommt wieder, Menschenkinder." Der Tod als Freund, der uns zurückholt dorthin, woher wir gekommen sind.
Und doch heißt es eben auch: „Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod." Am Ende soll es auch noch mit dem Ende vorbei sein. Solange wir leben, müssen wir ja mit jedem Anfang das Ende mitdenken.
Ein Feind bleibt der Tod - denn würden wir nicht anders leben, wenn wir dieses Ende nicht totsicher erwartete und wir unendlich Zeit hätten? Warum sollten wir dem anderen etwas neiden? Kommen nicht die meisten Übel aus einer Angst, in dieser Zeit nicht genug zu bekommen?
Man kann vielleicht beides zusammendenken: den Tod als Freund, den Tod als Feind. So, wie es in einem Gedicht von John Donne heißt:
Tod, sei nicht stolz, hast keinen Grund dazu,
bist gar nicht mächtig stark, wie mancher spricht.
Du tust uns nichts; auch mich tötest du nicht.
Die du besiegt wähnst, warten nur in Ruh.
Wenn schon der Schlaf, dein Abbild, Freude leiht,
welch hohe Lust muss aus dir selbst gedeihn.
Und gehn auch unsre Größten zu dir ein -
Die Asche fault, die Seele ist befreit.
Nach kurzem Schlaf erwachen wir zur Ruh -
Und mit dem Tod ists aus: Tod, dann stirbst du.
In diesem Gedicht von John Donne, hat der Tod nicht das letzte Wort. „Die Asche fault" - aber die Seele ist durch den Tod befreit. Zu einem neuen Leben, in dem wir den Tod als Freund nicht mehr brauchen.

(John Donne, Nacktes denkendes Herz; Köln 1969)

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