SWR2 Wort zum Tag

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Zum 1ooo. Geburtstag von Hermann dem Lahmen

Kein Tagesbeginn ohne Blick auf die Uhr - und wie oft auch heute die Frage: wie spät ist es? Zeit ist  ein knappes Gut, Pünktlichkeit ist wichtig, Kalender und Terminplan sind  handfester Ausdruck dafür - jedenfalls im Berufsleben .  Und selbst wenn wir  aus lauter Langeweile nicht wissen, was wir mit uns anfangen sollen,   schwingt die Zeitfrage mit.  Nicht nur wie spät es  ist, steht in Frage. Auch was eigentlich jeweils an der Zeit  ist. Was ist zu tun, was ist zu lassen - jetzt und im Rhythmus der Tage?

Solche Frage  trieben einen Gelehrten um, der vor 1ooo Jahren geboren wurde. Er baute raffinierte Zeitmesser , schrieb Chroniken und  kluge Bücher zu mathematischen und astronomischen Fragen. Ich spreche von Hermann dem Lahmen , seit frühester Kindheit Benediktinermönch auf der Insel Reichenau am Bodensee.  Von früh an spastisch gelähmt und an den Tragstuhl gefesselt,  beschäftigt ihn die Frage, was an der Zeit und wie spät es ist. Aber für ihn ist Zeit nicht Geld, für diesen Christenmensch ist   Zeit das größte Gottesgeschenk, ebenso kostbar wie befristet.  Entsprechend wichtig  ist die Vermessung der Zeit  für das reibungslose Zusammenleben der Mönche, für ihren Bio- und Theorythmus. Hermann der Lahme ist besonders berühmt geworden durch sein  Messgerät namens Astrolab - eine flache transportable  Metallscheibe zur Messung von Fixsternen und Planeten. Die Himmelskugel, vom Südpol aus angeschaut, wird  auf einer kreisrunden Scheibe abgebildet, und auf dieser Art Weltenuhr können dann Zeit und Stunde exakt bestimmt werden.  Ursprünglich wohl zur Erstellung von Horoskopen gedacht, verfeinert Hermann dieses Instrument und entwickelt ganz praktische Modelle. Bis ins 2o. Jahrhundert hinein haben z.B. Schäfer und Hirten Hermanns Säulchen-Sonnenuhr verwendet, um Entfernungen und Höhenunterschiede in der Landschaft zu messen und natürlich die Tageszeit zu bestimmen. 

Warum experimentiert  ein gelähmter Mönch mit solchen Fragen ? Gewiss nicht aus Langeweile!  Zeit ist für Hermann nicht Geld, sondern  Ausdruck kosmischer, ja göttlicher Harmonie. Die genaue Vermessung des Himmels  dient dem guten und gerechten Leben auf Erden. Wer um die Verlässlichkeit  im Gang der Gestirne weiß,  kann geordneter leben auf Erden. Der Naturzeit korrespondiert die innere Zeit - und in allem ist der göttliche Schöpfer erfahrbar mit seiner unglaublichen Treue und Verlässlichkeit.  „Du hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet. Denn du bist immer imstande, deine große Macht zu entfalten" - so betet ein  Zeitgenosse Jesu in der Bibel.. „Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von dem, was du macht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen...du Liebhaber des Lebens"  (Weisheit 11,2o).  Der Blick auf die Uhr und die Termine könnte also ein Blick auf diesen Schöpfer sein, auf das Herz seiner und unserer Welt. Zum 1ooo. Geburtstag von Hermann dem Lahmen , dem genialen schwäbischen Tüftler, kann also neu über das alte Thema nachgedacht werden : wie spät ist es in meinem Leben, und was ist an der Zeit ?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15429
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