SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Das war richtig schöner Stress." Erzählt mir ein Kollege. Und sieht dabei ganz zufrieden aus, ja glücklich. „Schöner Stress." Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Sein Leuchten sagt, nein, kein Widerspruch. Das kann nur heißen, dass Stress und Stress zweierlei sein können.
In der Regel erleben wir Stress als belastend. Stress zehrt aus. Macht Druck. Müde. Womöglich auf Dauer sogar krank.
Vielleicht ist dieser negative Stress zwangsläufig in unserer beschleunigten Gesellschaft. Viele Menschen erleben sich z. B. in ihrer Arbeit „wie im Hamsterrad". Immer am rennen und immer in Angst, auf einmal nicht mehr mithalten zu können. In diesem Hamsterrad kann man sich alles leisten, nur stehen bleiben nicht. Und es dreht sich nicht nur in der Arbeitswelt, auch das eng getimte Freizeit - und Beziehungsleben gerät in den Sog. Leben im „Hamsterradstress".
Was unterscheidet diesen negativen Stress von dem schönen, den mein Kollege erlebt hat? Gemeinsam haben wir Unterschiede gesucht.
„Vier Tage lang haben wir unter Hochdruck auf diese eine Stunde hin gearbeitet. Am Ende waren alle auch sehr müde. Aber nicht ausgezehrt, sondern glücklich müde" hat er erzählt.
Vor allem zwei Erfahrungen waren anders: In der Anstrengung gab es einen großen Zusammenhalt bei den Mitwirkenden. „Fast ein Gleichklang in der Anstrengung." Kein Gegeneinander, Miteinander. Niemand der nur für sich gespielt hätte. Ein bisschen wie beim gelungenen Musizieren.
Und das zweite: Es kam sehr viel zurück, hat er erzählt. Danach. Lob und Anerkennung von Besuchern. Wertschätzung, die nachklingt. Resonanz.
Vielleicht ist das das Geheimnis, was einen schönen vom üblichen auszehrenden Stress unterscheidet: „Resonanz."
Dass was ins Klingen, ins Fließen kommt zwischen Menschen. Man strampelt nicht alleine, sondern meine Bemühung klingt zusammen mit der der anderen.
Vielleicht kann man diese Erfahrung auf das Leben insgesamt übertragen: Beglückend ist Leben dann, wenn etwas fließt von mir zu anderen und zurück. Sogar in dunklen Erfahrungen geht das ja. Wenn mein Schmerz Resonanz findet oder Trost mich anrührt. Wenn Leben nicht einfach „mehr output" bedeutet, sondern Fließen.
Mich hat dieses Nachdenken erinnert an ein Gedicht von Rilke. „Ich kreise um Gott, den uralten Turm und ich kreise Jahrtausende lang. Und ich weiß noch nicht, bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang?"
Vielleicht darf man Rilke sogar variieren: Angesichts dieser Erfahrung vom schönen Stress. Und dann sagen „Wir kreisen um Gott - als großer Gesang."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15378
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