SWR3 Gedanken

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Sabine ist die Freundin einer Freundin. In ihrem Leben läuft alles rund. Drei gesunde Kinder, eine einigermaßen harmonische Ehe und das liebevoll möblierte Eigenheim. Da bleiben eigentlich keine Wünsche offen. Bis auf einen. Sabine würde schrecklich gerne eine Ausbildung machen. Dafür war in ihrem Lebensplan bisher keine Zeit.
Aber in ihrem derzeitigen Leben ist dafür auch keine Zeit. Die drei Kinder und der Ehemann müssten Abstriche machen. Das möblierte Eigenheim würde nicht mehr so glänzen. Und womöglich wäre es dann schlecht bestellt um die Harmonie. So denkt Sabine bis zu jenem Tag, als ihr in einer Zeitschrift folgende Geschichte begegnet:
Ein Vogel lag auf dem Rücken und hielt beide Beine starr gegen den Himmel gestreckt. Ein anderer Vogel kam vorüber und fragte verwundert: „Warum liegst du so da? Und warum hältst du die Beine so starr?" Da antwortete der erste Vogel: „Ich trage den Himmel mit meinen Beinen. Wenn ich loslasse und die Beine anziehe, wird der Himmel herabstürzen."
Kaum hatte er das gesagt, da löste sich ein Blatt vom nahen Eichbaum und fiel leise raschelnd zur Erde. Darüber erschrak der Vogel so sehr, dass er sich geschwind aufrichtete und davonflog. Der Himmel aber - oh Wunder - blieb an seinem Ort.
Komische Geschichte, denkt Sabine. Bis sie begreift, dass sie dieser Vogel ist. Der felsenfest glaubt, dass das Schicksal der Welt nur an ihm hängt. Und wenn er nicht tut, was er meint, tun zu müssen, dann fällt uns allen der Himmel auf den Kopf. Und dann tut er nicht mehr, was er meint, tun zu müssen. Und die Erde dreht sich weiter.
Am nächsten Tag beginnt Sabine, Bewerbungen zu schreiben. Ihr Mann findet das großartig, und die Kinder lernen, wie man Eierpfannkuchen backt. Sabine fliegt sozusagen davon. Und siehe da: Die Erde dreht sich weiter.

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