SWR2 Wort zum Tag

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Der 1940 verstorbene Maler Paul Klee hat immer wieder Engel gemalt. Eines seiner Engelbilder trägt den Titel „Angelus Novus". 1920 hat er es geschaffen. Nach einer wechselhaften Geschichte hat das Bild seinen Platz in einem Jerusalemer Museum gefunden.

Eine Engelfigur steht mir vor mir - Körper und Gesicht sind mir zugewandt, Augen und Mund weit geöffnet, die Arme wie Flügel ausgebreitet.

„Angelus Novus" - „Engel des Neuen", so könnte man etwas frei übersetzen. Vielleicht auch: „Fortschrittsengel". Strahlt dieses Werk Hoffnung aus oder Skepsis?  Der „Fortschritt" ist ja zwiespältig: Für die einen bedeutet er, dass wir durch vielfältige Anstrengungen einer helleren Zukunft entgegen gehen. Andere erfüllt der so genannte Fortschritt mit tiefem Misstrauen. Ist über die Zeiten hinweg wirklich etwas besser geworden, und kann uns das, was wir Menschen gestalten und was uns oft auch über den Kopf wächst, nicht eher das Fürchten lehren?

Skepsis oder Hoffnung? Paul Klees „Angelus Novus", der „Fortschrittsengel", ist       geradezu zum Symbolbild für diese Frage geworden. Sein erster Besitzer, der jüdische Schriftsteller Walter Benjamin, hat in ihm den Engel der Geschichte gesehen, der auf die Vergangenheit zurückblickt und darin ein unablässiges Fortschreiten von Katastrophe zu Katastrophe sieht. Der Engel möchte retten, heilen - aber er kann es nicht, weil ihn der Sturm unwiderstehlich immer weiter vom Paradies wegtreibt in eine unheilvolle Zukunft hinein. Dieser Sturm der Zerstörung ist für ihn der Fortschritt.

Skepsis oder Hoffnung - gibt es überhaupt eine Antwort auf diese Frage, wenn wir das Leben und die Geschichte der Menschen betrachten? Entspricht Walter Benjamins Sicht nicht weithin dem, was uns die Geschichte lehrt und was wir weltweit tagtäglich um uns herum erleben? Seine Deutung begleitet Klees Bild des „Angelus Novus" bis heute.

Aber ist nicht auch eine andere Sicht möglich? Vielleicht entfernt sich dieser Engel ja nicht von mir, sondern kommt auf mich zu? Vielleicht laden seine ausgebreiteten Flügel mich ein, mich auf Neues und Unbekanntes einzulassen? Überlasse ich der Resignation das letzte Wort, oder kann ich einen Hoffnungsboten in ihm sehen - trotz des vielfachen Scherbenhaufens der Geschichte, den ja niemand leugnen kann? Das ist die Frage, die Klees „Angelus Novus" unausweichlich stellt: Was dürfen wir hoffen? Könnte es sein, dass die Verheißung des Schöpfungsmorgens noch lange nicht zu Ende gesprochen ist, die lautet: „Alles ist gut."

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