SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Engel sind in der heutigen Kunst ‚in'", sagte mir neulich ein Kunsthistoriker. Haben die Menschen heute ein besonderes Bedürfnis nach dem, was Engel symbolisieren: eine Zwischenwelt zwischen dem, was wir täglich sehen und erleben, und dem Unsichtbaren und Unsagbaren? Ein Reich, von dem wir ahnen, dass es dort um die eigentlichen Fragen nach dem Sinn unseres Lebens geht?

Der Maler Paul Klee wusste sich diesem „Zwischenreich" nach eigener Aussage immer verbunden, und er wollte mit seiner Kunst das Unsichtbare sichtbar machen. Wohl deshalb hat er viele Engel gemalt - einige bereits in jungen Jahren, aber die meisten zwischen 1938 und seinem frühen Tod im Jahr 1940. Darunter sind suchende und zweifelnde Engel, kämpfende und weinende, hörende und hoffende, diesseitige und solche von einem anderen Stern, ein Engel vom Kreuz und auch ein Todesengel - eines von Klees letzten Werken.

Engel haben in der Glaubensgeschichte von Juden und Christen eine lange Tradition, die auf die Bibel zurückgeht. Sie sind Bilder für die Gegenwart des unsichtbaren und unsagbaren Gottes, der bei den Menschen ist und in ihrem Leben wirkt. Paul Klees Engelbilder knüpfen an diese Tradition an - wie anders könnte sonst ein anrührendes Schutzengelbild dazu gehören, in dem ein Kind von einem großen, besorgten Engel behütet wird und bei ihm geborgen ist?

Aber Klees Engel fordern kein Glaubensbekenntnis. Sie sprechen - zumindest vordergründig - nicht von Gott, sondern von den Menschen. Sie machen das Unsichtbare sichtbar, das in den Menschen verborgen ist; sie sprechen von dem, was uns bewegt, für das wir oft keine Worte finden und wo es doch um die wirklich wichtigen Fragen geht: um das Unfertige in uns, den Zweifel, die kleinen und großen Hoffnungen; um das, was uns glücklich macht und um das Tragische, mit dem wir ringen. „Bei den Engeln", sagt Paul Klee mit dem feinsinnigen Humor, der aus vielen seiner Bilder spricht, „bei den Engeln ist alles wie bei uns, nur englisch."

Aber sprechen diese Bilder nicht vielleicht doch auch von Gott und von unserer Beziehung zu ihm? Könnte es sein, dass sich in diesem geheimnisvollen „Zwischenreich" das Unsichtbare und Unsagbare unseres menschlichen Lebens und der unsichtbare und unsagbare Gott begegnen? Lassen uns diese Bilder ahnen, dass Gott in uns lebt und wir in ihm?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15326
weiterlesen...